Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Keller

Der Keller

Titel: Der Keller
Autoren: Daniel Dersch
Vom Netzwerk:
nötige Zeit dafür fand.
    Dieser Gedanke, war der letzte Wall, den sein Verstand gegen den heranbrausenden Wahnsinn aufgetürmt hatte. Es war so, als wollte man versuchen, ein ganzes Panzerbataillon dadurch aufzuhalten, indem man es mit Wattebäuschen bewarf.
    Roger wandte den Kopf etwas zur Seite und blickte in das Gesicht von Charles Decker, der neben dem Sofa stand und einen feuchten Lappen in der Hand hielt. Aus dieser Perspektive, dachte Roger, sieht dieser Decker noch größer und mächtiger aus, als er ohnehin schon ist. Kaum war dieser Gedanke in seinem Kopf verklungen, erinnerte er sich auch schon, warum Decker hier in seinem Wohnzimmer war und ihn mit besorgter Miene ansah. In diesem Augenblick wünschte er sich, dass er die Augen nicht aufgemacht hätte. Er wünschte sich, er könnte sie einfach wieder schließen und der Gegenwart entfliehen. Er sehnte sich zurück nach der vollkommenen Gleichgültigkeit, die draußen in der Einfahrt über ihn gekommen war.
    „ Wie geht es Ihnen“, fragte Decker. Er tänzelte von einem Bein auf das andere, wie ein Athlet kurz vor dem Wettkampf. Roger konnte ihm ansehen, dass er in diesem Moment überall lieber wäre, als dort bei ihm.
    „ Wie soll es schon gehen“, sagte Roger und richtete sich auf.
    „ Ganz langsam“, sagte Decker, „Sie haben sich da eine verdammt große Beule geholt, als Sie gegen den Wagen geknallt sind. Ich sollte Sie ins Krankenhaus bringen, damit das geröntgt wird.“
    Roger fasste sich an die Stirn und unter seinen Fingerkuppen konnte er eine Schwellung ertasten, die fast so groß war, wie ein Golfball. In seinem Mund nahm er den rostigen Geschmack von Blut wahr, konnte sich aber nicht daran erinnern, woher er stammte. In diesem Augenblick fühlte er sich wie ein Boxer, der gerade einen ordentlichen Hammer weggesteckt und die Bretter geküsst hatte.
    „ Wo ist sie, Sheriff? Kann ich sie sehen?“
    „ Wir haben sie vorhin in den Krankenwagen gebracht und anschließend darauf gewartet, dass sie aufwachen, um sich von ihr zu verabschieden. Kommen Sie mit, ich helfe Ihnen hinaus.“
    Roger erhob sich langsam auf seine wackeligen Beine. Decker trat auf ihn zu und legte ihm einen Arm um die Schulter, der fast so dick war, wie ein Holzstamm. Dann gingen die beiden Männer langsam nach draußen, wo sich inzwischen alles beruhigt hatte und nur noch Deckers Wagen und ein Krankenwagen standen. Die beiden Sanitäter standen neben der Fahrertüre und rauchten eine Zigarette. Als sie Roger auf dem Absatz der Veranda erblickten, warfen sie ihm einen mitfühlenden Blick zu, ehe sie dann vom Wagen wegtraten, um ihn allein mit seiner Frau zu lassen.
    Die beiden Männer stiegen die wenigen Treppen hinab und gingen zur Rückseite des Krankenwagens. Decker vergewisserte sich, dass Roger einen Moment lang alleine stehen konnte und machte sich anschließend daran, die Heckklappe des Krankenwagens zu öffnen. Dann bedachte auch er Roger mit einem mitleidsvollen Blick, trat zur Seite und eröffnete ihm den Anblick auf seine tote Frau.
    Lindas Leichnam lag so auf der Bahre, dass ihre Füße in Fahrtrichtung des Krankenwagens zeigten. Ihre Augen waren geschlossen und ihre Hände lagen verschränkt auf ihrer Brust. Auf den ersten Blick konnte Roger ein dünnes Rinnsal getrockneten Blutes erkennen, das ihr aus dem linken Ohr bis in den Kragen geflossen war. Das war das einzige an ihr, das einen ungewöhnlichen Eindruck auf ihn erweckte – ansonsten sah sie beinahe so aus, als würde sie schlafen.
    Roger stand nur da und sah sie an, während ein Schleier aus Tränen ihm zunehmend die Sicht raubte.
    „ Es tut mir so leid, Schatz“, sagte er. Dann schloss er die Augen und beugte sich zu ihr vor, um ihr einen
    letzten
    Kuss auf die Stirn zu geben. In dem Moment als er sie nur sanft mit seinen Lippen berührte, kippte ihr Kopf ruckartig zur Seite. Roger vernahm dabei ein Geräusch aus ihrer Kehle, so als würde man Eierschalen in der flachen Hand zerdrücken.
    Als er die Augen aufriss, sah er, dass der Kopf seiner Frau in einer Position verharrte, bei deren Anblick sein Magen den Schleudergang einlegte. Ihr Kinn berührte ihren Nacken.
    Rogers Innereien zogen sich schlagartig zusammen und er erbrach sich durch seine zusammengepressten Lippen auf seine Schuhe. Decker eilte herbei und hielt ihn am Kragen fest, damit er nicht vornüber in das Erbrochene kippte. Als es nichts mehr zu erbrechen gab und ihm nur noch Galle hoch kam und in dünnen Fäden von den Lippen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher