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Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Titel: Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
Autoren: Bernd Stöver
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habe dem wirtschaftlich überlegenen Westen, insbesondere den USA und ihrer forcierten «Politik der Offenen Tür», nahezu hilflos gegenübergestanden. Neben der ökonomischen Überlegenheit wurde hier ausdrücklich das amerikanische Atomwaffenmonopol der ersten Nachkriegsjahre als Argument für die amerikanische Verantwortung herangezogen. 18 Stalins Politik sei weniger von imperialen Vorstellungen ausgegangen als von der Bewahrung und Sicherung des bestehenden Staates, der kontinuierlich gefährdet gewesen sei. Für die Traditionalisten und andere Kritiker indes diskreditierte sich diese Interpretation bereits durch die Übernahme sowjetischer Deutungen.
    (3) Beide Positionen näherten sich seit den siebziger Jahren in der sogenannten postrevisionistischen Interpretation des Kalten Krieges an: Sie geht davon aus, daß gerade die angenommene Bedrohung durch die Gegenseite für die rasante Dynamik der Auseinandersetzung maßgeblich war. Kontinuierlich habe die verfehlte Wahrnehmung falsche Entscheidungen produziert. Als Vertreter dieser These gelten zum Beispiel Wilfried Loth oder Daniel Yer-gin. 19 Auch diese Forschungsrichtung war deutlich von der aktuellen Entwicklung des Kalten Krieges beeinflußt. Seit der Kubakrise 1962, die die Welt so nah wie nie zuvor an den Atomkrieg geführt hatte, waren deutsch-deutsche und internationale Entspannungsbemühungen erfolgreich. Sie hatten bis 1972 auch zur Unterzeichnung des ersten Vertrags zwischen den Supermächten zur Begrenzung Strategischer Waffen geführt. Vor diesem Hintergrund machte die These Sinn, eine verfehlte Kommunikation habe zum Kalten Krieg geführt und die Überwindung von Mißtrauen ermögliche die Annäherung der Gegner. Tatsächlich können die Postrevisionisten für sich verbuchen, daß vieles, was man nach der Öffnung bisher verschlossener Archive in den Jahren nach 1991 zutage förderte, in die Richtung wies, daß der Verlauf des Kalten Krieges nicht zuletzt durch massive Kommunikationsprobleme gefördert wurde. Gerade sein Ende - etwa der Wandel des Gorbatschow-Bildes im Westen - zeigt deutlich, wie stark die
    Überwindung von eingefahrenen Perzeptionsmustern zur Beendigung des Kalten Krieges beitrug.
    Dennoch stieß auch diese Interpretation auf Kritik. Tatsächlich muß man natürlich fragen, ob die Einschätzungen der Gegenseite wirklich so konsequent falsch waren wie unterstellt. Schloß nicht schon der Universalanspruch der beiden Ordnungsentwürfe den jeweils anderen kategorisch aus? Wurde nicht trotz der Abrüstungsverhandlungen alles versucht, das gegnerische System weiterhin zu unterminieren, und zwar nicht nur im eigenen Machtbereich, sondern auch an den entlegensten Peripherien des Konflikts? Wo konnte es eine Fehlinterpretation der jeweiligen gegnerischen Vorstellungen bei der gigantischen nuklearen Aufrüstung geben, die schließlich militärisch sinnvoll nicht mehr eingesetzt werden konnte und in der Lage war, nicht nur die gesamte Erdbevölkerung mehrfach zu vernichten, sondern die Erde auf Dauer unbewohnbar zu machen?
    Alle drei Antworten auf die Frage, warum dieser Konflikt begann und mit aller Härte und vollem Einsatz der Kräfte bis zum Ende geführt wurde, blieben zeitgebundene Teilerklärungen. So wie die traditionelle und revisionistische Erklärung jeweils einseitige Schuldzuweisungen Vornahmen, schloß der kommunikationstheoretische Ansatz des Postrevisionismus weitgehend die Möglichkeit aus, daß der Kalte Krieg ein klassischer Machtkonflikt war, der nicht aus Versehen oder aufgrund von Verständigungsproblemen, sondern bewußt und kalkuliert in Eskalationen und Deeskalationen geführt wurde, weil er ausgefochten und siegreich beendet werden sollte. Gerade für diese Annahme sprach jedoch immer vieles. Das 1956 von Chruschtschow präsentierte Schlagwort von der «Friedlichen Koexistenz» war bekanntlich niemals ein Friedensangebot an die andere Seite und galt insbesondere nicht für die Systemauseinandersetzung in der Dritten Welt. International wurde die Koexistenz trotz aller Bekenntnisse zu keiner Zeit ein nachhaltig verfolgtes Konzept und blieb selbst in den kommunistischen Staaten heftig umstritten. Wie stark der unterhalb der Atomschwelle mit allen Mitteln geführte Kalte Krieg tatsächlich als «Krieg» wahrgenommen worden war, machten nicht zuletzt die Diskussionen um Sieger und Besiegte nach dem Ende des Konflikts deutlich. 20 Zwar blieb die amerikanische Auffassung, den Kalten Krieg für sich entschieden zu
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