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Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Titel: Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
Autoren: Bernd Stöver
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«Zwischenzustand» des Kalten Krieges als eigener Sachverhalt in das Völkerrecht aufgenommen werden solle. 23 Die Tatsache, daß der Kalte Krieg tatsächlich in 45 Jahren niemals zu einem Atomkrieg führte, brachte in den späten achtziger Jahren noch einmal die pointierte Gegenthese hervor: Der Kalte Krieg sei gar kein Krieg gewesen, sondern das Gegenteil, ein «langer Frieden». 24 Tatsäch-lieh kann nicht bestritten werden, daß die Overki Il-Kapazi täten den großen Atomkrieg zwischen den beiden Hauptkontrahenten und ihren Bündnispartnern als nicht mehr führbar erscheinen ließen und an den Ausgangspunkten und eigentlichen Zentren des Kalten Krieges - in Europa, in den USA und in der UdSSR -eine militärische Auseinandersetzung verhindert wurde. Die These wird allerdings zum blanken Zynismus, wenn man gleichzeitig berücksichtigt, daß die Kriege statt dessen in den Peripherien geführt wurden. In bestimmten Regionen der Dritten Welt herrschte über die gesamte Dauer des Kalten Krieges ein permanenter militärischer Konflikt. 25
    (3) Totalität und Ubiquität des Kalten Krieges. Nicht nur in der Wahrnehmung, sondern vor allem in seiner Praxis entwickelte sich der Kalte Krieg in Richtung eines «totalen» oder auch «absoluten Krieges», wie ihn Arthur Koestler schon 1945 in Anlehnung an Clausewitz nannte. 26 In ihm kam mit Ausnahme der atomaren Waffen auf beiden Seiten tendenziell alles materiell und immateriell Verfügbare zur Anwendung oder wurde zumindest bereitgestellt, um diesen Konflikt zu gewinnen. Gleichzeitig okkupierte der Kalte Krieg direkt oder indirekt sogar Bereiche, die auf den ersten Blick wenig mit ihm zu tun hatten. Der Kalte Krieg war eine weitgehend entgrenzte politisch-ideologische, ökonomische, technologisch-wissenschaftliche und kulturell-soziale Auseinandersetzung, die ihre Auswirkungen bis in den Alltag zeitigte.
    Das zentrale Paradoxon des Kalten Krieges war somit die Vorstellung, sich in einem «totalen Krieg» zu befinden, den man aber im Gegensatz zu den bisher bekannten Phasen «totaler Kriegsführung» nicht mit Aufbietung aller, das heißt auch militärischer Mittel führen konnte und die Mehrheit auf diese Weise auch nicht führen wollte. Gleichzeitig sah man sich aber genötigt, sich auf den Eventualfall des großen militärischen Konflikts umfassend vorzubereiten. Dazu gehörten die Suche und Anwerbung von Bündnispartnern, die Reklamierung von tatsächlichen oder prospektiven Interessengebieten, die Fabrikation, Erweiterung und ständige Modernisierung von wirtschaftlichen, technischen, militärischen, zivilen und politischen Ressourcen und nicht zuletzt sie Herstellung oder Erzwingung innerer Geschlossenheit. Milliarden wurden investiert, um auch die Funktionsfähigkeit einer politischen und militärischen Führung in einem möglichen Atomkrieg zu gewährleisten. Die Bunkeranlagen des Kalten Krieges stellten in Qualität und Quantität alles in den Schatten, was der Zweite Weltkrieg hervorgebracht hatte. Bis weit in die Bündnisstaaten hinein wurde eine Debatte um das Überleben im Atomkrieg geführt, die nachhaltig auch die Mentalität des Kalten Krieges bestimmte. 27 Besonders anschaulich läßt sich die Totalität und Ubiquität des Konflikts dort nachvollziehen, wo der Konflikt angeblich unpolitische Bereiche berührte oder sogar zeitweilig okkupierte, so etwa die Kulturpolitik. In den einzelnen Gesellschaften führte der totale Konflikt darüber hinaus zu deutlichen Polarisierungen. Annäherungen an die jeweils andere Seite oder Neutralität blieben nicht nur in der Sowjetunion und in den USA bis zum Schluß verdächtig. Für dieses Phänomen eines «inneren Belagerungszustands» unter dem angenommenen Druck von außen wurde bereits in den fünfziger Jahren der Begriff des «Kalten Bürgerkriegs» geläufig, der in jüngeren Darstellungen wieder aufgenommen wurde. 28 Gerade hier wird erkennbar, daß der Kalte Krieg eigentlich nur Kombattanten kannte - Teilnehmer auf dieser oder jener Seite. Anschauungsunterricht bot im Osten etwa die Behandlung von Dissidenten oder sonstigen «Verrätern». Im Westen gehörte dazu das Verhalten gegenüber tatsächlichen oder vermeintlichen Sympathisanten der anderen Seite, so etwa gegenüber der Friedensbewegung.
    (4) Bipolarität und Multipolarität des Kalten Krieges. Die Frage, ob der Kalte Krieg tatsächlich als ein bipolarer Konflikt anzusehen sei, ist seit den sechziger Jahren gestellt worden. 29 Was auf den ersten Blick so
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