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Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Titel: Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
Autoren: Bernd Stöver
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Krieg» verstand, den er in seinem Text als «speziellen» oder auch «eigenen Krieg» (Particülar War) bezeichnete, erläuterte er ausführlich: gegnerische Obstruktionspolitik, diplomatischer Krieg, Propaganda und geheime Infiltration. 14 Und auch Lippmann betonte das revolutionär Neue an dieser Auseinandersetzung: Der Kalte Krieg werde geführt, weil ein militärischer Konflikt - «ein ausgewachsener Weltkrieg mit Atombomben und dem ganzen Rest», wie er schrieb - für die Sowjetunion noch nicht machbar sei.
    Mit Lippmanns schmalem Band zur Kritik der Eindämmungspolitik trat der zwar sachlich ungenaue, nichtsdestoweniger aber emotional zutreffende Begriff des Kalten Krieges seit Herbst 1947 seinen Siegeszug an. Wenig später konnten die Zuschauer der Pa-ramount-Wochenschau am 1.Januar 1948 hören, Stalin habe den «härtesten politisch-moralischen, wirtschaftlichen Krieg der Geschichte, einen Kalten Krieg» begonnen. Die Verbündeten folgten nur wenig später: Im französischen Le Figaro tauchte der Begriff la Guerre Froide zum ersten Mal am 8. Februar 1949 auf. Fachzeitschriften wie das in der Bundesrepublik erscheinende Periodikum Außenpolitik richteten kurz darauf sogar eigene Rubriken unter dem Titel ein. Wenig später wurde der Begriff auch im sowjetisch kontrollierten Ostmitteleuropa üblich. In der DDR erschien 1950 die deutsche Übersetzung von The Cold War in Germany aus der Feder des britischen Journalisten Wilfred G. Burchett. Im folgenden Jahr fand der Begriff sich dann auch auf dem sowjetischen Buchmarkt (Cholodnaja Woina) und seit 1955 auch als Definition in der Großen Sowjetenzyklopädie, wo man ihn im Verlauf der nächsten Jahrzehnte hin und wieder inhaltlich anpaßte, aber in seiner Grundaussage unangetastet ließ: Die Amerikaner und der
    Westen zielten mit der Auslösung des Kalten Krieges auf die Beherrschung der Welt. 15
    Bezeichnenderweise entwickelten sich auch die Deutungen, die die historische Forschung in den 45 Jahren der Auseinandersetzung zur Entstehung und Dynamik des Kalten Krieges vorlegte, aus den politisch motivierten Schuldzuweisungen der Anfangsjahre. Es macht daher Sinn, sie als zeitgebundene Erklärungen, als «historische Meistererzählungen» (Master Narratives) zum Konflikt zu begreifen. 16 So sollte der Kalte Krieg verstanden und vermittelt werden, so sollte er in der Erinnerung bleiben.
    (1) Nach der traditionellen Vorstellung, der frühesten Erklärung, war aus westlicher Sicht für die Entstehung und Forcierung des Kalten Krieges die marxistisch-leninistische Ideologie mit ihrem Anspruch auf die Weltrevolution verantwortlich. Diese habe die Sowjetunion prinzipiell auf einen aggressiven Kurs gegenüber dem Westen festgelegt. Pragmatische Annäherungen in Entspannungsphasen seien zwar möglich gewesen, nicht jedoch eine Abschwächung des Expansionsdrangs. Wichtige Vertreter dieser Auffassung kamen aus der amerikanischen Regierung: George Kennan, der «Erfinder» der dann von der Demokratischen Partei weiterentwickelten Eindämmungspolitik (Containment Policy) und John Foster Dulles, der Schöpfer des republikanischen Gegenentwurfs, der Befreiungspolitik (Liberation Policy). Das sowjetische Pendant der traditionellen Interpretation des Kalten Krieges, das spiegelbildlich die westlich-amerikanische Verantwortung für den Kalten Krieg betonte, lieferte dann Andrej Schdanow in seiner berühmten «Zwei-Lager-Rede» am 30. September 1947. Hier stand der «Imperialismus» im Mittelpunkt.
    (2) Die in der westlichen Forschung ab den sechziger Jahren als sogenannte revisionistische Erklärung kursierende Deutung entsprach auf den ersten Blick im weitesten Sinne der sowjetischen bzw. der marxistisch-leninistischen Interpretation des Kalten Krieges seit der frühen Nachkriegszeit. Sie entstand zunächst in den USA als Kritik an der traditionalistischen Schule, aber auch als Gegenposition zur Außenpolitik der Eisenhower-Jahre. Als der erste Band der revisionistischen Schule, William A. Williams’ The Tragedy of American Diplomacy, 1959 erschien, befand sich die Welt nach der nur kurze Zeit zurückliegenden Doppelkrise um Ungarn und Suez mit der Zweiten Berlinkrise bereits wieder auf Konfrontationskurs. Die Revisionisten - neben Williams zum Beispiel Gabriel Kolko, David Horowitz oder Gar Alperovitz - unterstrichen ausdrücklich die amerikanische Verantwortung für die Entstehung des Kalten Krieges. 17 Die Sowjetunion sei aus dem Zweiten Weltkrieg geschwächt hervorgegangen und
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