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Der Junge mit den blauen Haaren

Der Junge mit den blauen Haaren

Titel: Der Junge mit den blauen Haaren
Autoren: Doris Loesel
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unter der ich sie erreichen könnte.
Was sowieso auch nichts gebracht hätte.
Das Telefon zuhause wird überwacht, da bin ich mir ziemlich sicher, auch wenn mir der Grund hierfür nicht einleuchtet. Allerdings hatte ich vor einigen Jahren zufällig einen Blick in eine Art Kommandozentrale werfen können. Mir war angesichts der Unmengen Monitore, auf denen jedes einzelne Zimmer im Haus zu sehen war, ganz schwindelig geworden.
Richtig wütend gemacht hatte mich allerdings die Tatsache, dass ich, kurz bevor ich von einem unserer Angestellten weggezerrt wurde, sah, dass auch meine Räume überwacht werden. Seit jenem Tag habe ich nie wieder ohne Bikini geduscht und mich immer unter der Bettdecke umgezogen.
Ein eigenes Handy habe ich, trotz all meines Reichtums (oder dem meines Vaters) niemals besessen. Das wäre etwas Eigenes gewesen. Und das hätte er niemals geduldet.
Ganz sicher hätte meine Mutter es niemals zugelassen, dass er mich so behandelt. Oder sie wäre diesem Tyrannen ebenfalls nicht gewachsen gewesen … ja, das erscheint viel wahrscheinlicher. Während meine Gedanken Karussell fahren, erledige ich mein Körperpflegeprogramm mit der Routine eines Roboters.
Meine Koffer sind bereits vorgestern mit einem Wagen in mein neues Zuhause gebracht worden, das immerhin knapp 4000 km von hier entfernt ist. Ob mein alter Herr sich wohl davor gedrückt hat, das Geld für das Übergepäck locker zu machen?
Ich lache hart auf.
Nein, ganz sicher nicht. Vater ist so verdammt reich, vermutlich hätte er sogar einen Flug zum Mond für mich in Erwägung gezogen, wenn die seit Jahren geplanten Unterkünfte dort bereits fertiggestellt wären. Wahrscheinlich wäre ihm aber auch eine Höhle oder irgendein Krater gut genug für mich gewesen.
Nun, im Augenblick ist mir sowieso alles egal.
Ich schlurfe zurück in mein Schlafzimmer, ziehe mir unter einem riesigen Badetuch frische Unterwäsche an und greife nach kurzer Überlegung zu Jeans-Shorts und einem dunkelgrünen T-Shirt. Dann schlüpfe in meine Twilight-Chucks, wohl wissend, dass mein Vater einen Tobsuchtsanfall bekommt, wenn er mich so sieht.
Meine Klamotten sind nämlich die einzige Sache, die von einer Frau für mich ausgesucht werden. Auch wenn ich Karina, so heißt sie, noch nie persönlich kennengelernt habe, weiß ich, dass sie es gut mit mir meint. Dreimal im Jahr bekomme ich einen kompletten Satz neuer Kleidungsstücke mit Schuhen und allem, was sonst noch dazu gehört. Und auch wenn ich mir nicht die geringste Meinung darüber bilden kann, weiß ich intuitiv, dass sie angesagt sind.
Nach einem letzten Blick auf mein Zimmer schnappe ich mir meinen Rucksack und den kleinen Koffertrolli, der als Bordcase gerade noch so durchgeht, und füge mich in mein Schicksal.

2)
    W ährend des knapp siebenstündigen Fluges habe ich Zeit genug, mein Leben genau unter die Lupe zu nehmen.
Leider! Denn das ist einer der Nachteile, wenn man keinerlei Erfahrung im Umgang mit anderen Menschen hat. Man entwickelt eine Menschenscheu und ist bis auf gewisse Umgangsformen, die ein Guten Tag , ein Dankeschön und ein Bitteschön beinhalten, unfähig, ein halbwegs normales Gespräch zu führen. Und small talk ist schon mal gar nicht.
Also stellt der ältere Herr neben mir nach einigen sicher nett gemeinten Versuchen die einseitige Unterhaltung ein, was mir die Gelegenheit gibt, die Augen zu schließen, ohne unhöflich zu erscheinen, und mich in einer Rückblende meiner bisherigen siebzehn Lebensjahre zu ergehen.

    Ich lebe in einem goldenen Käfig.
Bis vor einem Jahr wurde ich zuhause unterrichtet – und zwar richtig gut.
Mrs. Bruebaker, meine Kurzzeitlehrerin an der öffentlichen Schule, teilte mir bei unserem Abschiedsgespräch mit, dass ich ohne weiteres sofort die Prüfung ablegen könne. Und ich würde sie mit Auszeichnung bestehen.
Klar, das macht mich schon stolz. Aber was ist das schon?
Nicht, dass es mir an irgendetwas mangelt … naja, außer an Dingen, die ein junges Mädchen in meinem Alter vermutlich als das Normalste auf der Welt ansieht.
Wie zum Beispiel ein Handy, oder ein Laptop … oder eine Freundin!
Nichts von alldem habe ich jemals besessen.
Dafür habe ich ein Radio mit Satellitenempfang – wow! Wenigstens sind mir auf diese Weise die neuesten Hits bekannt, auch wenn ich nicht die geringste Ahnung habe, wie die dazu passenden Sänger und Sängerinnen aussehen. Denn Zeitschriften oder TV sind für mich tabu.
Unvorstellbar?
Sicher, aber ich kenne es nicht anders.
Und was
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