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Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Titel: Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)
Autoren: Ian Brown
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–, das 10 000 Dollar teure Himmelbett, das sich vor der einen Wand wie ein Altar erhebt und von einem Gitter umgeben ist, damit er nicht abhauen kann, der 2100 Dollar teure vierfüßige Ständer aus rostfreiem Stahl in der Zimmerecke, der vernachlässigt wird wie der viktorianische Prinz »Onkel Bertie« (aber wir können ihn nicht wegschmeißen, falls ein Notfall eintreten sollte, falls wir ihn wieder brauchen sollten: Himmel, was ist, wenn wir ihn wieder brauchen?), der Schaukelstuhl, den mir meine Mutter schenkte, als ich ein kleiner Junge war, und der jetzt kaputt ist, eine ihrer wenigen Verbindungen zu meinem Sohn. Und natürlich Clarence, der Clown, der alptraumhafte Clownskopf aus Plastik, der allmählich auseinander fällt, die Augen, die Nase, der Mund, während Clarence mit einem redet und einem gestattet, sein Gesicht umzuformen, traurig, glücklich, kubistisch, terroristisch. Ist das nicht verräterisch – dass ein Spielzeug, dessen Gesicht er verändern und verformen kann, zum Lieblingsobjekt meines deformierten Jungen geworden ist? Oder lockt es ihn, dass er die elektronische Stimme an- und abschalten kann, anders als seine eigene? Was meinen Sie? Ich hasse sein Zimmer, weil es mir wie ein altmodisches Museum vorkommt, ein Ort, der sich, wie mein Sohn, kaum weiterentwickelt.
    Walker hat einen Körper wie ein alter Boxer: quadratisch, wirklich, wie eine umgedrehte Shirtbox. Seine Armschienen – harte Plastikröhren, die ihn daran hindern, die Ellbogen zu beugen, sodass er sich nicht den ganzen Tag krachende Aufwärtshaken gegen den Schädel verpassen kann – hindern ihn auch daran, einen größeren Bizeps zu entwickeln, aber am Unterarm hat er harte Muskeln. Sein Gesicht ist in der unteren Kieferpartie stärker ausgeprägt, er hat volle Wangen, aber kein nennenswertes Kinn. Lockiges Haar, aber keine Augenbrauen, da ist er kahl wie ein Raumfahrer. Eine breite Nase, typisch für dieses Syndrom (und auch für viele andere). Dicke Lippen, besonders die untere, »ausladend«, wie die Ärzte sagten, als er noch ein Novum war. Quadratische Zähne, von der Nährflüssigkeit gelb gefärbt, aber gesund. Hände wie Handschuhe, gewaltig für seine Körpergröße. Der Helm, den er jetzt mehr und mehr trägt, ist königsblau, irgendein glänzender glatter Kunststoff – die Schläge prallen daran ab. Er wurde mit einem Riemen in Regenbogenfarben geliefert, die Art, wie jemand anders »Inklusion« interpretiert. (Ist Walker für die Außenwelt so fremdartig wie ein Transsexueller? Das frage ich mich manchmal.) Er kann sich selbst und andere verletzen, indem er seine Arme schwingt, mit seinem Kopf stößt. Er schlägt sogar unabsichtlich Ginny, unsere Border-Terrier-Hündin. Sie nimmt es ihm nicht übel. Auch ich beherzige Walker gegenüber die Regel: im Zweifel für den Angeklagten.
    Es gibt zwei dreiviertel Zimmer im Haus, die seinen Habseligkeiten gewidmet sind. Er hat sein Reich allmählich vergrößert, und sein Imperium ist immer noch gleich groß, auch drei Jahre, nachdem er im Alter von elf Jahren in eine Wohngruppe gezogen ist. Dort verbringt er jeweils eineinhalb Wochen und dann drei Tage zu Hause, aber wir lassen unsere Version von Walkers Welt unangetastet. Denn wir können ihn niemals ziehen lassen, selbst wenn er das möchte. Es gibt ein ganzes Zimmer im zweiten Stock, das voller Spielzeug ist, mit dem er nie gespielt hat, und Kleidung, die er nie getragen hat – die Archäologie unseres vergeblichen Glaubens, dass dieses oder jenes Spielzeug ihn aus seiner geschlossenen Welt heraus- und in unsere Sphäre hereinholen würde. Das war sehr selten der Fall.
    Es gibt ganze Schubladen voller Kleidung, die Walker von Außenstehenden als Geschenk bekommen hat – Kleidung, die man aufwendig einfädeln oder knöpfen muss, Kleidung aus Stoff, der für seine ultraempfindliche Haut ungeeignet ist, gute Absichten, die Dutzende Menschen überfordert hatten, wenn sie sich den Kopf zerbrachen, was in Gottes Namen sie unserem seltsamen und eingeschränkten Jungen kaufen sollten. Das Dinosaurier-Schloss, das Hundert Dollar gekostet hat und ihn ungefähr fünf Minuten im Monat beschäftigt, wenn er hier oben ist und sein Blick darauf fällt. Mr. Wonderful, die Puppe, die lauter treffende Dinge sagt, wenn man ihr auf den Bauch drückt: »Mein Schatz, nimm ruhig die Fernbedienung. So lange ich mit dir zusammen sein kann, ist mir völlig egal, was wir gucken.« Das erregte ungefähr fünfzehn Sekunden lang seine
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