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Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Titel: Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)
Autoren: Ian Brown
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Aufmerksamkeit. Meine Frau hat sich allerdings durchaus darüber amüsiert.
    Auf der anderen Seite fasziniert ihn der Giebel eines alten Lebkuchenhäuschens auf einem Pappteller – seit Langem versteinert und ungenießbar – wann immer er ihn erblickt. Genauso wie eine Plastiktüte mit Weihnachtsschmuck, noch so eine Erfindung von Olga, gut für Hunderte und Aberhunderte Rollbewegungen der Hand pro Tag. Tafeln und Puzzles, Bälle und Kreisel, Buzzer und Knetgummi, Activity Boards und Kastenteufel, genügend pädagogisches Spielzeug, um die Zukunft ganz Afrikas zu verändern, Puppen, Plüschtiere, Kostüme – vorwurfsvoll in einer Reihe weißer Wäschekörbe.
    Unten im Keller, in der alten Sauna, die wir als Abstellkammer benutzen (wer hat schon Zeit für die Sauna?), befinden sich sogar noch mehr ungewöhnliche Gegenstände, die wirklich bedrohlichen Sachen, die man uns von den Versorgungsämtern der verschiedenen Regierungsebenen für die Therapeuten, die ins Haus kamen, geliehen hat. Als Walker noch ein Kleinkind war, war es sehr wahrscheinlich, dass ich, wann immer ich nach Hause kam, auf eine Frau in den Dreißigern oder Vierzigern in Overalls aus Jeansstoff stieß, die in meinem Wohnzimmer auf dem Fußboden saß und ihn tätschelte, seine Wangen stimulierte, mit seinen Händen spielte und geduldig das gleiche Geräusch oder die gleiche Geste wiederholte, wieder und wieder und wieder. Jedes Mal, wenn ich nach Hause kam und so eine Frau erblickte, verspürte ich einen Stich, weil mir wieder klar war, dass ich einen Sohn hatte, der ihre Hilfe brauchte, und zugleich eine Woge der Hoffnung und Dankbarkeit – weil vielleicht gerade diese Sitzung den Durchbruch bringen würde, der ihn auf den Weg zu einem normaleren Leben brachte. Ich verspüre immer noch beides, wenn ich ihn mit einem neuen, unverbrauchten, noch nicht resignierenden Lehrer erblicke.
    Bis heute steht in der Sauna eine Reihe von gelben Plastikeimerchen, jedes zehn Zentimeter hoch, jedes mit einem anderen Ding im Boden. Eins hat zum Beispiel ein Yin-Yang-Rad, einen schwarz-weißen Wirbel mit einem Knopf zum Drehen. Ich verstehe das Yin-Yang-Rad: Kleinkinder reagieren stark auf den Kontrast, das schwarz-weiße Muster. Am Rand des Yin-Yang-Rades sind noch dazu Metallnieten, die bimmeln, wenn das Yin-Yang-Rad gedreht wird. Ding ding ding ding ding! Etwas vage Nepalesisches oder Tibetanisches. Das funktioniert doch bestimmt bei meinem kleinen Buddhisten? Das Ding ist jedenfalls drinnen, auf dem Boden des gelben Eimers. Im Boden des gelben Eimers sind außerdem zwei Löcher, möglicherweise für Finger, möglicherweise Tropfenlöcher, oder beides. Mir ist es nie gelungen, zu verstehen, wie man diesen Gegenstand eigentlich benutzen soll, und ich habe nie erlebt, dass er Walkers Aufmerksamkeit für mehr als zwei Sekunden hätte fesseln können – buchstäblich nicht einmal für zwei Sekunden. Aber wir behalten die Eimer trotzdem, vielleicht wird dies ja dennoch (wie schon gesagt) der magische Eimer sein, das Mittel, das alles verändert. Ein Papieretikett ist auf die Außenseite des gelben Eimers geklebt worden:
    FEINMOTORIK ENTWICKLUNGSMATERIAL
    DREHEN , STÜRZEN UND LERNEN
    VOLLES KLANGMODUL Nr. 10
    Und darunter, ein Stempel:
    METRO SPEZIAL
    PROGRAMM [Sehen]
    Ich weiß gar nicht, was deprimierender ist: das unbeholfene, klobige Design, die unverständlichen Finger/Tropf-Löcher, der bürokratische Stempel (Nr. 10, einer von vielen), die Bezeichnung »voller Klang« (vielleicht hätte das Modul mit dem Viertelklang besser funktioniert?) oder die noch bürokratischere Einteilung (Sehen) innerhalb der noch größeren Einteilung (Metro Spezialprogramm), mit der Implikation eines größeren und allumfassenden Programms für die Provinz und die gesamte Nation, jedes ineinandergreifend, wie aus der Sicht eines Allwissenden, in immer kleinere Unterbezirke, bis wir schließlich bei diesem kleinen, hässlichen, brutalen, unbeholfenen, groben, gelben Plastikteil des Systems mit seinen zwei Löchern angelangt sind, das für meinen unrettbaren Sohn reserviert ist. Die anrührende Hoffnung und dennoch absolute Hoffnungslosigkeit dieses Etiketts, diese grunzende Neandertal-Vorstellung von der menschlichen Natur (Reiz/Reaktion, gut/schlecht, an/aus), die sie verrät. Oder liegt es daran, dass es noch vier weitere gelbe Aktivitätseimer unten gibt? Ein Flugzeug mit einem beweglichen Propeller. Ein Clown mit einem drehbaren Schlips. Ein Strauß Blumen auf beweglichen
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