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Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Titel: Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)
Autoren: Ian Brown
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immer noch an den Tag, damals als Walker noch ein Kleinkind war, als meine Frau mit dem Vorschlag kam, auf jedem Stockwerk im Haus einen Korb mit Spielzeug aufzustellen. Ich dachte, das wäre eine geniale Idee, ich dachte, wir hätten eine Lösung für das Problem gefunden. Aber nach all den Jahren stehen diese Körbe immer noch da, stehen geblieben und vollgestopft, genau wie wir oft.

Drei
    WAS DR. NORMAN Saunders, Walkers Kinderarzt irritierte, war, dass man ihn nicht umgehend angerufen hatte, nachdem Johanna ein offenkundig behindertes Kind fünf Wochen zu früh auf die Welt gebracht hatte. An jenem Tag schien wirklich etwas nicht zu sein wie sonst. Es war der dreiundzwanzigste Juni 1996, ein Sonntag. Ich war bei der Arbeit und moderierte eine dreistündige wöchentliche Radiosendung. Johanna rief mich nach der zweiten Stunde an: Sie hatte Wehen. Ihre Stimme war nur einen Grad weniger ruhig als üblich. Mein Bruder fuhr sie ins Krankenhaus, eins, das auf Frauenheilkunde spezialisiert war. Ich wurde mit meiner Arbeit fertig und stieß dann dort zu ihnen. Ihr eigener Arzt war im Urlaub, die Geburt würde von einem Kollegen ihres Arztes begleitet werden, einem hoch gewachsenen, sanften Mann namens Lake. Walker war natürlich nicht seine Schuld, aber ich habe ihm trotzdem nie verziehen.
    Noch irgendetwas war an diesem Tag nicht wie sonst, abgesehen von dem Arzt meiner Frau, der nicht da war: die Art, wie der Junge, nachdem er zur Welt gekommen war, in der Hand des Arztes zusammensackte. Er hatte einen merkwürdigen, niedergeschlagenen Gesichtsausdruck, als wüsste er, dass irgendetwas nicht stimmte. Seine Lungen hatten sich nicht richtig geöffnet, und die Assistenzärzte brachten ihn schnell zu einem Tisch, wo sie ihm mehrere Minuten lang eine Sauerstoffmaske auf den winzigen Mund und die Nase pressten. Mehrere Jahre lang habe ich mich immer wieder gefragt, ob der erzwungene Sauerstoff zu seiner Zurückgebliebenheit beigetragen hat – was passieren kann. »Puh«, hörte ich den hoch gewachsenen Assistenzarzt kurze Zeit später seinen Kollegen zuflüstern, »bin ich froh, dass er angefangen hat zu atmen.« Da begann die anhaltende, unterschwellige Panik, die Sorge, die Walkers Leben seit jenem Tag bestimmt. Das Schlingern seines Lebens. Die Anzeichen, die von Anfang an da gewesen waren. Die seltsame Wolle seines wilden, lockigen Haars, die sich oben auf seinem rechteckigen Kopf zu einem Streifen ballte – ein unerwartetes Muster. Neulich fuhr ich auf meinem Fahrrad an dem Krankenhaus vorbei, in dem er geboren wurde, und spuckte es beinahe an. Ich hasse dieses Gebäude, sogar den gelben Backstein, aus dem es errichtet worden ist. Aber, so dachten wir, er ist schließlich eine Frühgeburt, klar dass er etwas lethargisch ist. (Niemand kann in diesem Stadium CFC erkennen.) Er verweigerte bei jedem zweiten Versuch die Mutterbrust, einer seiner Hoden hatte sich nicht herabgesenkt, und er konnte nur ein Auge öffnen. Dennoch hatte das Kind, als Dr. Saunders ihn zwei Tage später das erste Mal untersuchte, 300 Gramm zugenommen.
    Schon bei seiner ersten Visite begann Dr. Saunders – ich weiß das jetzt, weil ich Walkers Krankenblatt kenne – bereits, ungewöhnliche Einzelheiten auf dem Blatt für meinen Sohn zu notieren. Gaumen unnatürlich hoch. Schlaffer Muskeltonus. Kleine Fissuren in den Augenlidern . Niedrig ansetzende und verdrehte Ohren , eine Falte in der Haut auf seinem Nasenrücken . Hayley war ein Musterbaby gewesen. Von ihrem Bruder war Saunders nicht so begeistert.
    Zwei Tage später hatte Walker das meiste von dem Gewicht, das er zugelegt hatte, schon wieder verloren. Johanna war außer sich, tief in einer hormonellen Trance, in der es ihre einzige Sorge war, dass der Junge Nahrung zu sich nahm.
    Er schien nicht in der Lage zu sein, zu saugen, und er brauchte eine Stunde, um fünfzehn Gramm Milch zu sich zu nehmen. Wenn er sie dann im Magen hatte, erbrach er sie gleich wieder. Sein Körper wollte nicht überleben. »Wir wollen doch, dass dieses Kind lebt, oder?«, blaffte Saunders eines Morgens, als wir wieder einmal in seiner Praxis aufkreuzten. Ich entschied, dass das eine rhetorische Frage war.
    Saunders Frage implizierte eine weitere, unausgesprochene: »Dieses Kind kann nicht überleben, wenn man nicht außergewöhnliche Anstrengungen unternimmt. Wollen Sie diese Anstrengungen auf sich nehmen und die Konsequenzen ertragen?« Selbst wenn er diese Frage direkt gestellt hätte, kann ich mir nicht
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