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Der Jünger

Der Jünger

Titel: Der Jünger
Autoren: Sharon Sala
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Liebe, die Gnade Gottes ist so gewaltig, dass er auch das Schlimmste vergibt. Es sind nur wir Sterblichen, die sich mit solchen Dingen wie Vergebung herumschlagen.”
    “Was will Carpenter dann von mir? Warum lässt er mich nicht in Ruhe? Ich habe ihm nichts getan.”
    Sie tat Ben leid. Er wollte ihr so gerne helfen, aber er hatte versprochen, seinen Mund zu halten. Wie auch immer, eine Berührung war ja kein Wort, deshalb griff er nach ihrer Hand und hielt sie fest.
    “Wenn Sie tatsächlich den Geist dieses Mannes sehen, dann interpretieren Sie das vielleicht falsch.”
    “Aber was sonst könnte es bedeuten, als dass er mir Vorwürfe macht?”
    “Vielleicht benötigt er von Ihnen ja nichts weiter als Vergebung.”
    Ruckartig hob January den Kopf, so, als hätte sie jemand wachgerüttelt. Sie lehnte sich abrupt zurück, dann starrte sie in die Luft.
    Konnte die Antwort so einfach sein?
    Sie war sich noch nicht sicher, aber sie würde darüber nachdenken.

22. KAPITEL
    G erade als sie sich an diesem Abend zum Dinner hinsetzten, wurde Ben zu einem Mordfall gerufen und ließ January allein zu Hause. Ihr Appetit war mit Ben zusammen verschwunden, deshalb stand sie vom Tisch auf und räumte das Essen wieder weg.
    Eine unheimliche Stille legte sich über die Wohnung. Vor dem Fenster hörte sie eine Polizeisirene, die sich näherte. Aus alter Gewohnheit – und auch ein bisschen aus Neugierde – blickte sie aus dem Fenster. Das Polizeiauto fuhr vorbei, doch sie nahm es gar nicht wahr. Stattdessen sah sie unter der Straßenlaterne einen Mann stehen, der zu ihr hochblickte.
    Sie erschrak, dann bekam sie so rasendes Herzklopfen, dass ihr der Schweiß ausbrach.
    Er war es.
    “Hau ab!”, schrie sie. “Lass mich in Ruhe!”
    Sie blinzelte, und er war verschwunden.
    Da reichte es ihr. Sie wusste nicht, ob Mutter Mary Theresa recht hatte oder nicht, doch sie war es leid, in ständiger Furcht zu leben.
    January schnappte sich ihre Autoschlüssel und die Handtasche, dann rannte sie zur Tür. Minuten später war sie auf dem Weg zu einer Kapelle, die durchgehend geöffnet war und die sie schon viele Male vorher aufgesucht hatte.
    Als sie kurz darauf auf den Parkplatz der Kirche fuhr, zitterten ihre Hände und sie hatte das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen, doch das musste sie hinter sich bringen. Der Parkplatz war gut beleuchtet, und zu ihrer Erleichterung sah sie auch noch andere Wagen dort stehen.
    Sie nahm ihre Tasche, stieg aus und rannte zum Eingang. Das Innere des alten gotischen Bauwerks war in sanften Kerzenschein getaucht. January berührte das heilige Wasser gleich neben der Tür mit den Fingerspitzen und fiel auf die Knie, während sie sich bekreuzigte.
    Hier konnte ihr nichts Böses passieren.
    Sie befand sich in Gottes Haus.
    Zielstrebig ging sie zum Altar im vorderen Teil des Kirchenschiffes. In den Kirchenbänken kniete rund ein Dutzend Menschen, still vor sich hin betend. Über ihr hing eine Statue des gekreuzigten Jesus, dessen Gesichtszüge vom ewigen Schmerz gezeichnet waren.
    Sie nahm sich eine Wachskerze und zündete sie an, bevor sie sich am Altar niederkniete. Kaum hatten ihre Knie den Boden berührt, schloss sie die Augen und atmete tief ein. Noch während sie das tat, wusste sie, dass sie nicht mehr allein war.
    Es war keine Erscheinung, die sie genau hätte festmachen können, doch sie fühlte sich nicht bedroht, deshalb ließ sie die Augen geschlossen. Dieses Gefühl der Geborgenheit reichte ihr.
    Sie betete, horchte, dann betete sie erneut. Als sie alle Worte gesagt hatte und nicht mehr wusste, wie sie es noch anders ausdrücken konnte, wiederholte sie das, was die alte Nonne in ihrem Herzen hinterlassen hatte.
    “Herr … Ich weiß, du hast ihm schon vergeben. Also kann ich auch nichts anderes tun. Vergib mir für meine Schwäche, solchen Hass empfunden zu haben. Vergib mir, dass ich gewünscht habe, Jay Carpenters Seele solle in die Hölle fahren. Ich bete dafür, dass er seinen Frieden gefunden hat.”
    Sie bemerkte etwas, das sich wie ein Atemzug an ihrer Wange anfühlte, aber als sie die Augen öffnete, war niemand da.
    January stand auf. Als sie sich umwandte, glaubte sie am Ende des Ganges einen Mann im Schatten neben der Tür stehen zu sehen.
    Sie ging auf ihn zu, weil sie wissen wollte, ob sie das Richtige getan hatte. Sie betete, dass es tatsächlich Carpenters Geist war, der nun in Frieden ruhen konnte.
    Doch als sie dort ankam, war der Vorraum leer. Sie tat diese Erscheinung
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