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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein
Autoren: Andreas Gruber
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hatte fünf Geiseln in seiner Gewalt, das gesamte Haus war vermint und …«
    »Das ist der nächste Punkt. Wo sind die Zünder?«
    »Im Kofferraum meines Wagens sichergestellt. Das habe ich in meinem Bericht erklärt.«
    »Ich weiß, der verdammte Bericht.« Sie wehrte den Gedanken mit den Händen ab. »Ihre Aussage liegt seit gestern 22.00 Uhr beim Landesgendarmeriekommando. Das nächste Mal sprechen Sie sich mit mir ab, bevor Sie eine Erklärung abgeben, falls es überhaupt ein nächstes Mal gibt«, seufzte sie. »Sie haben nicht nur eine Disziplinaranzeige am Hals, sondern Landesgendarmeriekommandant Bejk wird ein Verfahren einleiten; er will das gesamte Programm gegen Sie durchziehen. Sie können sich denken warum, oder? Er war nicht glücklich darüber, dass ausgerechnet Sie Novaks Nachfolger wurden. Der Kommandant hätte lieber seinen Protege auf dem Posten des Chefinspektors gesehen. Seit gestern Abend hat er etwas in der Hand gegen Sie, das ist sein gefundenes Fressen. Offensichtlich läuft es darauf hinaus, dass Sie zu einer Anhörung vor Gericht geladen werden. Ich werde sehen, was sich machen lässt. Der Kommandant fordert, dass ich Sie bis dahin vom Dienst suspendiere. Aber das ist immer noch meine Entscheidung. Ich erklärte dem Kommandanten, dass ich Sie zurzeit brauche, weil Sie an einem brisanten Fall arbeiten.« Koren verschränkte die Arme hinter dem Rücken und musterte Körner mit lauerndem Blick.
    Er schluckte. »Aber ich habe keinen Fall.«
    Sie holte tief Luft. »Ab jetzt schon!« Sie griff in die Lade und knallte eine dünne Mappe mit Faxpapieren vor ihm auf den Tisch. »Ist gerade reingekommen. Eine Leiche. Ein dreizehn- bis vierzehnjähriges Mädchen, brutal verstümmelt.«
    Sie wartete einen Moment, doch Körner rührte sich nicht. Stumm starrte er auf den blassgrünen Deckel der Flügelmappe und die gerollten Papiere, die daraus hervorsahen.
    »Ein Mord in einer Provinzdiskothek. Das sind die Fotos. Na los, machen Sie die Akte auf und schauen Sie es sich an!«
    Weshalb suspendierte sie ihn nicht einfach? Breitner, Schwaiger oder Kretschmer konnten den Fall übernehmen, zur Not auch Sedlak. Als er durch die Fotos blätterte, versteifte sich sein Rückgrat. Mit einem Mal wusste er, weshalb sie ausgerechnet ihn am Tatort haben wollte. Auf den lausigen schwarzweißen Kopien der Faxrolle war die Fassade einer Diskothek zu erkennen, mit einem Vordach aus Schindeln, Holzstehern und verbarrikadierten Fenstern. Der Putz blätterte von der Wand, und das Regenwasser sammelte sich in einer Mulde unter der Fensterbank. Den Digitalziffern am Rand des Bildes entnahm er, dass die Aufnahme erst eine halbe Stunde alt war. Weitere Fotos zeigten die Innenräume einer Bar: Tische, Stühle, einen Tresen, speckige Holzbohlen und dunkle Querbalken mit einer Lichterkette aus Glühbirnen. Die Leiche war nur undeutlich zu erkennen. Sie lag auf dem Bauch, mit dem Gesicht nach unten. Ihre Bluse war zerrissen, der Rücken freigelegt. Neben der Leiche glaubte er den Schatten eines Eisengestells auszumachen. Es wirkte wie das geschweißte Stahlgerippe eines Aktionskünstlers, mit einer Sitzbank, Seilen und Flaschenzügen. Stutzig blätterte er zum ersten Foto zurück und betrachtete noch einmal die Außenaufnahme der Diskothek.
    »Wo?«, fragte er, obwohl er die Antwort bereits kannte. Sein Gaumen war staubtrocken.
    Koren setzte sich und stützt die Ellenbogen auf den Schreibtisch. »In einem Ort an der niederösterreichisch-burgenländischen Grenze, im Rosaliengebirge.« Sie musterte ihn, er bemerkte es aus dem Augenwinkel.
    »Ich kenne diese Diskothek«, murmelte er gedankenverloren.
    »Ich weiß. Das ist die Gaslight Bar in Grein am Gebirge.«
    Körner versuchte zu schlucken, doch seine Kehle schnürte sich immer enger zusammen. Er schloss die Akte und legte sie beiseite.
    »Suspendieren Sie mich! Dorthin gehe ich nicht.« Er wollte es gleichgültig klingen lassen, doch die Worte kamen nur stockend heraus. Unwillkürlich blickte er auf das hellrote Narbengewebe auf seinem Handrücken. Wie auf Befehl begann die alte Brandwunde zu pochen, als sei sie nie geheilt.
    »Körner, um Himmels willen! Seien Sie vernünftig! Sie sind mein bester Mann. Soll ich etwa Breitner und Kretschmer in den Ort schicken? Sie kennen die Einheimischen, Sie kennen die Gegend. Sie sind dort aufgewachsen.«
    »Ich war seit siebenundzwanzig Jahren nicht mehr dort.«
    »Dann frischen Sie Ihre alten Bekanntschaften auf. Bringen Sie mir die ersten
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