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Mit dem Teufel im Bunde

Mit dem Teufel im Bunde

Titel: Mit dem Teufel im Bunde
Autoren: Petra Oelker
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PROLOG
    Das Blut rann den nackten Arm des Scharfrichters hinab bis in sein schwarzledernes Wams, es leuchtete rot auf der weißen Haut. Obwohl es aus der Entfernung wie ein dünnes Rinnsal erschien, wirkte es wie ein Fanal. Nicht der abgetrennte Kopf des Gerichteten oder der entsetzliche Mund, nicht der als blutender Kadaver vom Richtblock auf die Bretter rutschende Körper – es war dieses leuchtend rote Blut aus den durchtrennten Adern des abgeschlagenen Kopfes auf der weißen Haut des triumphierend gereckten Armes.
    Das war das Bild, das er nicht vergaß. Die Erinnerung kehrte zurück, wenn er vor einem Schlachthaus oder im Hof eines Anwesens zum Ausbluten aufgehängte Schweine oder Rinder sah, auch neulich, als die weiße Katze von den Rädern einer dahinrasenden Kutsche zerquetscht wurde. Und manchmal ohne offensichtlichen Anlass.
    So wie jetzt im Halbschatten unter der Hainbuche. Hier war weit und breit kein Schlachthaus, gewiss kein Richtplatz, nicht einmal ein Gehöft. Auch fehlte jeglicher Geruch von Blut, Sterben und Verwesung. Da war nur in den Farben des Herbstes leuchtendes Land, fallendes Laub und der Duft von feuchter Erde, ein Bussard zog hoch über ihm seine Kreise, mit den scharfen Augen auf der Suche nach einer Beute, die beiden Pferde dösten mit gesenkten Köpfen. Nun taumelte eine müde Hummel behäbig brummend vorbei, sonst gab es nichts als Stille und Frieden.
    Johannes Taubner schüttelte seinen Kopf, heftig, so wie ein nasser Hund sich schüttelte.
    Eine helle Stimme lachte auf. «Hat sich wieder eine Wespe in dem Gestrüpp auf deinem Kopf verirrt? Soll ich nachsehen?»
    Der junge Mann, der zwei Schritte von Taubner entfernt im Gras gelegen und in die Wolken gestarrt hatte, richtete sich auf, froh, dass das müßige Herumliegen offenbar ein Ende hatte. Mit seinen etwa zwanzig Jahren war er halb so alt wie Taubner, sein weißblondes Haar wirkte gegen die von Wind und Sonne mehr gerötete als gebräunte Haut des Gesichts künstlich, der einfache blaue Kittel über der Kniehose, die einmal bessere Tage gesehen hatte, war ihm zu weit. Seine hellen Augen, der große Mund verrieten ein heiteres, schwärmerisches Naturell, nur manchmal, wenn er sich unbeobachtet fühlte, war sein Blick der eines viel älteren Mannes.
    «Nein», sagte Taubner, «keine Wespe. Es war – gegen die Trägheit. Ja, es vertreibt die Trägheit.»
    Er sah keinen Grund, dem Jungen, wie er ihn bei sich stets nannte, seine Gedanken anzuvertrauen. Erst recht nicht die dunklen, davon hatte Henrik selbst genug.
    Er war lange in Kopenhagen gewesen; während der letzten Wochen hatte er mit seinem neuen Gehilfen in Wismar gearbeitet, nun war das Ziel ihrer Reise nicht mehr weit. Das musste der Grund für die Vision jenes blutigen Tages sein. Würde er auf einen Baum klettern, der höher hinaufragte als die Hainbuche, könnte er womöglich schon die Türme und Wälle sehen, sogar ein Stück des breiten, zum Meer führenden Flusses. Er hatte scharfe Augen. Wie der Bussard. Die Stadt war noch eine, vielleicht anderthalb Tagesreisen entfernt. Er kannte sie gut und wusste, wenn man sich auf den Straßen von Norden und Osten dem Tor näherte,passierte man das Galgenfeld. Es war eine große Wiese, fast so groß wie die bei Kopenhagen. Richtstätte und ungeweihte Erde zum Verscharren der Hingerichteten. Oder was von ihnen übrig geblieben war. Er war kein kaltblütiger Mensch, das war er nie gewesen, so hoffte er, Galgen und Räder leer vorzufinden. Es mochte ja sein, dass die verwesenden, von Raub- und Aasvögeln zerhackten Körper der Hingerichteten der Abschreckung dienten – im Preußischen, so hatte er gehört, ließ man manche der Gehenkten an den Galgen, bis nur mehr die Gerippe übrig waren   –, doch mit den Jahren hatte er zu zweifeln begonnen, ob diese Sitte christlich war oder nur barbarischen Völkern angemessen, die nichts von der Erlösung und Vergebung der Sünden wussten.
    Diesmal war ihm das Bild vom Blut auf der weißen Haut im Schlaf begegnet. Die Sonne stand immer noch hoch, er konnte nur kurz eingenickt sein. Offenbar lange genug.
    Seit er als einer von Tausenden auf der weiten Fläche vor der dänischen Hauptstadt dem schrecklichen Spektakel zugesehen hatte, waren Monate vergangen. Als er damals auf das Blut gestarrt hatte, war ihm die dichtgedrängte Menge von Körpern wie ein großes, sich mit angehaltenem Atem zusammenkrümmendes Tier erschienen, wie ein einziger Körper, der ihn fest umschloss und ihm die Luft
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