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Der Joker

Titel: Der Joker
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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immer wieder gekommen, habe dich beobachtet, genauso, wie du die Menschen bei diesen Adressen beobachtet hast...« Einen Moment lang wendet er sich ab, als würde er sich schämen. »Ich habe deinen Vater umgebracht, Ed. Ich habe diesen verkappten Banküberfall organisiert, als du im Gebäude warst. Ich habe diesen Mann angewiesen, seiner Frau Gewalt anzutun. Ich habe Daryl und Keith dazu gebracht, dir all diese Dinge anzutun, habe den Mann geschickt, der dich zum Berg der Brüder geführt hat…« Er schaut jetzt zu Boden, dann wieder hoch. »Ich habe dir all das angetan. Ich habe dich zu einem nicht besonders guten Taxifahrer gemacht, und ich habe dich all diese Dinge tun lassen, von denen du dachtest, dass du dazu nicht in der Lage wärst.« Wir stehen jetzt beide aufrecht
da und starren einander an. Ich warte auf mehr. »Und warum?« Er schweigt einen Moment, aber er weicht keinen Schritt zurück. »Ich habe es getan, weil du der Inbegriff der Normalität bist.« Er schaut mich mit ernstem Gesicht an. »Und wenn ein Typ wie du sich aufrappeln und das tun kann, was du für diese Menschen getan hast, dann kann es womöglich jeder andere auch. Vielleicht kann jeder über seine eigenen Grenzen hinausgehen.« Er spannt sich an. Das ist es. Darum geht es. »Vielleicht kann sogar ich es...«
     
     
    Er setzt sich wieder aufs Sofa.
    Ich erinnere mich an den Eindruck, dass die Stadt um mich herum nur gemalt ist. Das Gefühl, erfunden zu sein. Ist das, was gerade passiert, wirklich?
    Es ist wirklich. Der junge Mann sitzt da und schiebt sich die Hände durchs Haar.
    Ruhig steht er auf und schaut nach unten aufs Sofa. Da liegt eine blassgelbe Mappe auf einem Kissen. »Da steht alles drin«, sagt er. »Alles. Alles, was ich für dich geschrieben habe. Jede Idee, die ich geformt und ausgeschnitten habe. Jede Person, der du geholfen, die du verletzt oder kennen gelernt hast.«
    »Aber...?« Meine Worte kommen mir verschmiert und rutschig vor. »Wie?«
    »Selbst dies hier«, sagt er, »steht dort drin. Dieses Gespräch.«
    Schockiert, sprachlos, erschlagen stehe ich da.
    Schließlich finde ich meine Stimme wieder. »Bin ich wirklich?«
    Er denkt keine Sekunde darüber nach. Das ist nicht nötig. »Schau in die Mappe«, sagt er. »Am Ende. Siehst du es?«

    In großen, gekritzelten Buchstaben steht da die Antwort auf der Rückseite eines Bierdeckels. Geschrieben mit schwarzer Tinte. Da steht: »Natürlich bist du wirklich - wie jeder Gedanke und jede Geschichte. Alles ist wirklich, wenn du mittendrin bist.«
    Er sagt: »Ich gehe jetzt besser. Du willst dir bestimmt die Mappe in Ruhe anschauen und die Sache überprüfen wollen. Es steht alles da drin.«
    Einen Moment lang steigt Panik in mir auf. Es ist das Gefühl der Endgültigkeit, das man hat, wenn man die Kontrolle über sein Auto verliert oder einen Fehler macht, der unwiderruflich ist.
    »Was soll ich jetzt machen?«, frage ich verzweifelt. »Sag’s mir! Was soll ich jetzt machen?«
    Er bleibt gelassen.
    Er schaut mich aufmerksam an und sagt: »Weiterleben, Ed... Es sind nur die Seiten, die hier aufhören.«
     
     
    Er bleibt noch etwa zehn Minuten, wahrscheinlich aus Sorge über das Trauma, das er in mir ausgelöst hat. Ich bleibe stehen, versuche, über das, was ich gerade gehört habe, nachzudenken und mich davon zu erholen.
    »Ich sollte jetzt wirklich gehen«, sagt er wieder, diesmal mit mehr Entschlossenheit.
    Mit Mühe gelingt es mir, ihn zur Tür zu bringen.
    Wir verabschieden uns auf der Veranda und er geht die Straße entlang.
    Ich frage mich, wie wohl sein Name lautet, aber ich vermute, dass ich das schon bald erfahren werde.
     
     
    Er hat alles aufgeschrieben. Der Mistkerl. Alles.

    Während er noch die Straße entlanggeht, zieht er ein kleines Notizbuch aus der Hosentasche und schreibt etwas auf.
    Mir kommt die Idee, dass ich vielleicht selbst über das, was mir passiert ist, schreiben sollte. Immerhin bin ich derjenige, der die ganze Arbeit gemacht hat.
    Ich würde mit dem Bankraub anfangen.
    Etwa so: »Der Bankräuber ist ein totaler Versager.«
    Aber wahrscheinlich ist mir der andere zuvorgekommen.
    Sein Name wird auf dem Einband stehen, der all diese Worte beschützt, nicht meiner.
    Er wird den ganzen Ruhm einheimsen.
    Oder die schlechten Kritiken, wenn er es vermasselt hat.
    Dabei war ich derjenige, nicht er, der diese Seiten mit Leben erfüllt hat. Ich war derjenige, der...
    Oh Mann, hör auf zu jammern, Ed , sagt mir eine innere Stimme.
    Sie kommt
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