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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg
Autoren: Inka Ehrbar
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Straßen, die Autos und deren Gestank hinter uns lassen.
    Sobald wir auf Feldwegen laufen, geht das Geschrei wieder los: „Wenn du noch ein einziges Mai weg läufst, kommst du an die Leine. „
    Wenn ich das schon höre! Aus Inka spricht der pure Neid. Sie hat eben keine Kondition! Bloß weil sie dreimal so lange braucht wie ich, muss ich doch nicht wie eine Schnecke kriechen.
    Heute ist es sehr viel wärmer als in den letzten Tagen, also tue ich ihr den Gefallen und trotte langsam neben ihr her. Hoffentlich schlafe ich dabei nicht ein.
    Irgendwo in einer kleinen Ortschaft treffen wir auf die anderen Pilger. Natürlich gibt es gleich ein großes Hallo.
    Während Inka von unserem gestrigen Tag erzählt, posiere ich vor den Kameras, wie üblich. Es ist schon ein Kreuz, eine Berühmtheit zu sein. Aber was tut man nicht alles für seine Fans...
     
    An unserem Tagesziel mache ich wieder gute Miene zum bösen Spiel: Ich hocke brav vor der Tür, setze meinen treuesten Hundeblick auf... Und kaum zu glauben: Es klappt beim ersten Mal.
    Dann kommt so ein blöder Dorfköter und rempelt mich plump an. Jetzt ist es aber vorbei mit dem Feintun. Ohne Vorwarnung haue ich ihm meine Linke zwischen die Augen. Das macht immer Eindruck. Auch diesmal. Fortan benimmt er sich anständig, ist sogar richtig nett.
    Heute dürfen wir beide ins Restaurant. Inka freut sich riesig auf was Warmes. Schließlich leben wir fast nur von Brot, Schmierkäse und Schokolade. Ich finde das alles nicht so tragisch, denn für mich gibt es stets Schinken, Thunfisch und andere Köstlichkeiten.
    Zu Hause dagegen muss ich überwiegend Trockenfutter fressen. Igitt!
    Die Sachen auf Inkas Teller scheinen wirklich gut zu sein, denn die herrlichsten Düfte kitzeln meine Nase. Doch ehe ich mich näher damit befassen kann, schwänzelt dieser ungehobelte Dorfköter wieder um mich herum. Obwohl er zum Anhang der Herbergsleute gehört, ignoriere ich ihn. Ich habe weder Zeit noch Lust, mich um ihn zu kümmern. Viel wichtiger ist es, Inka zu überzeugen, mit mir zu teilen.
    „Nein!“, sagt sie. „Leg dich hin und gib endlich Ruhe.“ Manchmal ist sie unverschämt.
    Sie kann aber auch lieb sein. Beim anschließenden Spaziergang rieche ich schon aus weiter Ferne Tortillas, diese flachen Omeletts, von denen ich letzte Nacht sogar geträumt habe.
    Oh, sind die gut! Warum?
    „Bei den spanischen Tortillas dominieren nicht Eier den Geschmack, sondern die großzügige Beimischung herzhafter Zutaten wie: Zwiebeln, gewürfelte Kartoffeln, Schinken, Paprika und Tomaten“, erklärt Inka.
    Also, so genau wollte ich es nicht wissen. Mir wäre es viel lieber, wenn sie diese flachen Dinger auch mal zu Hause auf den Tisch bringen würde.
     
    Als ich erwache, ist es stockdunkel. Schnell packe ich meine Habseligkeiten zusammen. Wir verlassen das Haus und ich blinzle ins Tageslicht, das mir irgendwie eigenartig vorkommt.
    Kleine, schwarze Vögel fliegen nahezu lautlos über uns hinweg. An einem Stausee nehme ich Tila vorsichtshalber an die Leine, ehe sie den jungen Enten hinterherjagen kann.
    Heute ist Sonntag. Alles um uns herum ist still, die Sonne strahlt wie ein Diamant und ich bin froh, bei diesem Wetter ein T-Shirt tragen zu können.
    Ich empfinde heute besonders intensiv und merke, wie die Bilder in meinem Kopf allmählich an Farbe gewinnen. Aus den Schwarzweißbildern hat sich die bunte Vielfalt dieses Frühlingsmorgens entwickelt. Mir wird in aller Deutlichkeit die Polarität vor Augen geführt, das Verhältnis der Gegensätzlichkeit zwischen zwei voneinander abhängigen, sich gegenseitig bedingenden Momenten, wie der ständige Konflikt mit mir selbst und meiner Umwelt. Liebe und Hass, Lachen und Weinen, Scherz und Ernst, Zweifel und Zuversicht, Hell und Dunkel, Geist und Körper, ein Hin und Her zwischen Vielfalt und Eintönigkeit.
    Ich genieße die Stille und gebe mich beinahe feierlich diesem glücklichen Gefühl hin.
    Seit ich unterwegs bin, verzichte ich freiwillig auf einige Annehmlichkeiten. Aber eigentlich ist es gar kein Verzicht, eher ein Stück Freiheit. Ich habe mich von Äußerlichkeiten unabhängig gemacht, brauche sie nicht. Vieles, was selbstverständlich war, lerne ich wieder zu schätzen. Jedes Extra ist wie ein Geschenk und darüber freue ich mich.
    Zur Feier des Tages gibt es etwas Besonderes: Kaffee, den ich am Anfang meiner Reise ziemlich vermisst habe. Jetzt trinke ich ihn sehr bewusst und genieße jeden Schluck.
    Ein schöner Tag. Wir finden auch gleich
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