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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg
Autoren: Inka Ehrbar
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es endlich wieder über Feldwege. Ich bin aber so k.o., dass ich hinter Inka hertrottele. Sie merkt es überhaupt nicht. Es scheint sie auch nicht zu interessieren, denn sie läuft mit weit ausholenden Schritten unserem heutigen Ziel entgegen.
    Ich habe keine Lust mehr.
    Schluss für heute. Null Bock.
    Aber wie mache ich ihr das klar? Ich schwänzle um sie herum, kneife sie in die Beine. Nichts! Sie macht wie immer, was sie will.
    Ich verkrieche mich kurz unter einem schattigen Strauch. Von hinten sieht Inka lustig aus. An ihrem Rucksack baumeln zwei Flaschen mit Wasser, eine für sie und eine für mich. Wäre eigentlich nicht nötig, denn fast überall am Wegrand befinden sich Brunnen mit erfrischendem Wasser.
    Nicht zu übersehen ist die Jakobsmuschel, die sie an den Rucksack genäht hat, damit sie auch äußerlich als Jakobspilger zu erkennen ist. Obwohl Inka ein Hutgesicht hat, hat sie keinen Hut mitgenommen. Versteh ich. Den würde sie unterwegs nämlich bestimmt vergessen und dann wäre die hübsche Muschel auch weg. Ich kann ja schließlich nicht auf alles aufpassen.
    Aber was ist das? Plötzlich bin ich hellwach. Ein Mäuschen! Mit einem Satz springe ich aus meinem Versteck und packe es.
    Die Gegend scheint doch ganz interessant zu sein!
    Denkste. Keine besonderen Vorkommnisse.
    Am ersten Gasthof werden wir abgewiesen. Das kennen wir ja schon und es macht uns überhaupt nichts mehr aus.
    In der Nähe der Kirche zeigt uns dann eine nette Señora unsere Unterkunft. Heute haben wir nicht nur ein Bett, sondern ganze sechzehn Betten für uns allein!
    Zum Abendbrot gibt es Kaninchen, das Inka in einem Dorfgasthaus gekauft hat. Der Wirt hatte das Fleisch in ein altes Glas mit Schraubverschluss gefüllt, damit wir es mitnehmen konnten.
    Schmeckt köstlich! Hoffentlich reicht es für uns beide, denn ich habe einen Mordshunger. Darüber hinaus bin ich unendlich müde.
     
    Am Morgen überqueren wir den Oja. Von der Brücke aus beobachte ich zwei Störche, die versuchen, in dem kleinen Flüsschen ihr Frühstück zu fangen. Das ist bis zum Nachmittag die vorerst letzte dörfliche Idylle, die ich antreffe.
    Es geht immer der N-120 entlang. Je höher die Sonne steigt, desto tiefer sinkt meine Stimmung. Tila halte ich an der Leine, denn der Verkehr auf dieser Landstraße ist mörderisch. Diese Hetze, Raserei und Ruhelosigkeit passt so gar nicht zu meiner schönen Wanderung und ärgert mich.
    Ich frage mich: Zeit, was ist das? Warum hetzen wir? Oder sollte ich besser fragen: Warum hetze ich in meinem Alltag von einem Termin zum anderen? Warum habe ich immer noch schnell etwas zu erledigen?
    Auch mir steht nur eine kürzere oder längere Zeitspanne zur Verfügung, um zu leben. Selbst wenn ich mich noch so sehr beeile, die Zeit wird weder mehr noch weniger.
    Und dann wieder die Frage: Warum gehe ich? Gehe ich, um mit mir allein zu sein? Kann ich das überhaupt, in mich hineinhorchen und mich aushalten? Ich glaube, indem ich behaupte, keine Zeit zu haben, begebe ich mich auf eine Flucht, will vor einer Gefahr davonlaufen, womöglich vor mir selbst. Warum will ich für all das, was ich tue und leiste, bestätigt und anerkannt werden? Warum will ich unter Beweis stellen, wie belastbar ich bin? Weshalb schiele ich dabei auf die Bewertung, das Urteil meiner Mitmenschen?
    Die Antwort fällt mir nicht leicht. Vielleicht, weil ich mir selbst nicht genüge, nicht vor mir selbst bestehen kann. Eigentlich ein trauriger Gedanke.
    Immer noch rast die Blechlawine an mir vorbei und stinkt. Was sie in einer halben Stunde schaffen, dafür brauche ich einen ganzen Tag. Es macht mir aber nichts aus, denn ich bin die ganze Zeit bei mir selbst und nicht schon beim Ausladen oder Wieder-Losfahren. Und plötzlich empfinde ich die Zeit, gerade diese Zeit mit dem allgegenwärtigen Benzingestank als einen Teil meines Lebens. Und es kommt mir so vor, als hätte ich eine weitere Lektion des Lebens gelernt.
    Kurz darauf mündet die Straße endlich wieder in einen Feldweg und mir scheint, als sei die Zeit stehen geblieben.
    Wir kommen in ein Dorf, das wie ausgestorben daliegt. Rechter Hand eine Einsiedelei aus dem 12. Jahrhundert.
    Dann ein Dorf mit einigen verfallenen Häusern. Die Kirchturmuhr zeigt Winterzeit an. Bei uns wäre das eine Katastrophe. Doch hier scheint es ohne jede Bedeutung zu sein. Auf dem kleinen Platz neben der Kirche sitzen drei alte Leute in der Sonne. Sie unterhalten sich und winken mir aufmunternd zu und wieder höre ich das mir
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