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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg
Autoren: Inka Ehrbar
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inzwischen vertraute: „Buen camino.“ Sie wünschen mir einen guten Weg.
    Da es kälter wird, ziehe ich mir eine lange Hose über.
    Kurz vor dem Ortsausgang biegt eine alte Frau um eine Häuserecke, schlurft in abgewetzten Pantoffeln quer über die Straße und singt aus vollem Herzen. Auch sie winkt mir zu. Ihr Gesichtsausdruck ist warm und freundlich und stimmt mich fröhlich. Ich winke zurück. Vermutlich ist diese Frau in ihrem ganzen Leben noch nicht aus ihrem Dorf herausgekommen, hat sicher viel und hart gearbeitet, Kummer und Sorgen ertragen, und ist dennoch zufrieden. Ich stelle mir vor, wie sie tagsüber in der Sonne sitzt, ihre Hände in den Schoß legt und auf ihre Weise den Lebensabend genießt. Was spielt es da für eine Rolle, ob die Zeit auf Sommer oder Winter eingestellt ist? Vielleicht versteht sie nicht viel von unserer modernen Zeit, kennt weder Computer noch Mikrowelle, aber möglicherweise versteht sie dafür mehr vom Leben als die Zeitgenossen, die glauben, mit der Uhr alles im Griff zu haben.
    Ich kenne viele Leute, die danach streben, im Alter zufrieden in der Sonne sitzen zu können. Aber werden sie es schaffen, wirklich zufrieden zu sein?
    Diese Frau hat mich beeindruckt.
     
    Froh gestimmt bewältige ich die restlichen Kilometer bis Villafranca Montes de Oca.
    „No perro!“, klingt mir bereits am Ortseingang aus einem Gasthof entgegen. Was soll’s! Kurz darauf finden wir sechzehn Matratzen, vier Stehklos und eine eiskalte Dusche für uns allein. Gestern das heimelige Hotel und nun diese Notunterkunft. Ich lächele still vor mich hin; es amüsiert mich.
    Nachdem ich mein Handy an die Steckdose angeschlossen habe, genieße ich die Kaninchenteile, die ich eingekauft habe. Sie sind köstlich zubereitet.
    Im Reiseführer lese ich, dass Villafranca in knapp 1.000 Meter Höhe liegt und dass es auch in Sommernächten empfindlich kalt werden kann.
    Ich spüre nichts davon. Der große Raum ist gut geheizt und mir ist wohlig warm.
    Später zünde ich ein Teelicht an und breite all meine Schätze auf dem Tisch aus:
    das Engelkärtchen von Elvira, Ritas Briefe, die mir in der Not Trost spenden sollen. Mit Daniellas goldenem Armreif, der magische Kräfte haben soll, schmücke ich das Teelicht, das strahlenden Glanz verbreitet.
    Als Letztes lege ich Waltis Taschentuch mit den eingeknoteten Gegenständen dazu. Vorsichtig taste ich die vier Knoten ab. Zwei fühlen sich weich, die anderen eher hart an. Ich entscheide mich für einen weichen Knoten.
    Er ist so fest gezogen, dass ich mit dem Zahnstocher meines Taschenmessers nachhelfen muss. Endlich lockert er sich. Ganz gespannt öffne ich ihn und muss dann schallend lachen. Walti ist immer so praktisch. In einen kleinen Zettel hat er ein Blasenpflaster eingerollt, das sich wie eine zweite Haut auf wund gelaufene Stellen kleben lässt, sodass man problemlos weiterwandern kann.
    Amüsiert entziffere ich die winzigen Buchstaben auf dem Zettel: „Ich bin sicher, dieses Pflaster bringst du nicht wieder mit nach Hause. Ich drücke dich ganz fest, dein Walti.“
    Da hast du völlig recht, denke ich, denn davon kann man nie genug bei sich tragen.
    Die Akkus meines Handys sind zwar inzwischen aufgeladen, aber Walti ist nicht erreichbar.
    Schade, ich hätte so gern gewusst, ob er übermorgen tatsächlich mit dem Flieger nach Burgos kommt, wie wir es verabredet hatten.
     

8. Wandertag: Villafranca – Burgos – 39 km
     
    Inka kündigt einen Gewaltmarsch an. Gut, dass ich wieder in Höchstform bin, denn heute, das wird mein Tag! Da bin ich mir sicher. Wir werden in die Berge Montes de Oca kommen, sagt sie, eine Gegend, die seit dem Mittelalter von den Pilgern gefürchtet wird: wegen des Wetters und vor allem wegen der Raubritter, die hier besonders blutrünstig sein sollen.
    Also, das mit dem Wetter stimmt schon mal. Die Sonne hat sich in nichts aufgelöst. Himmel und Erde sind kaum voneinander zu unterscheiden. Dabei gießt es wie aus Eimern. Die rote Erde klebt in dicken Klumpen an meinen Pfoten. Das wird die Jagd auf die Ritter - oder die Räuber? - vermutlich etwas schwieriger machen.
    Angesichts der Gefahr, die uns droht, hat sich Inka geschickt der Umgebung angepasst und schon mal ihre knallrote Rüstung angelegt. Die wird sie zwar vor dem Regen schützen, nicht aber vor unseren Feinden.
    Sobald wir in die Berge kommen, nehme ich Witterung auf. Meinen Argusaugen entgeht nichts. Und dann sehe ich sie plötzlich. Sie lauern zu Hunderten hinter Baumstämmen
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