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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg
Autoren: Inka Ehrbar
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unterwegs, natürlich mit Tila, aber nicht einsam. Ich genieße es, mich ausschließlich mit mir zu befassen, und fühle dabei jede Faser meines Körpers.
    Meine Gedanken kreisen wieder um die Frage: Warum pilgern Menschen schon seit Jahrhunderten zu heiligen Orten und nehmen den oft beschwerlichen Weg auf sich?
    Langsam ahne ich, was es sein könnte. Vielleicht hat es außer einem religiösen Bedürfnis etwas mit ,Zeit’ zu tun. Sich Zeit nehmen, Zeit für sich haben, dabei Zeit und Raum spüren und Freiheit.
    Ich werde die Antwort für mich noch finden.
     
    Das Bild der Landschaft hat sich verändert; unser Weg ist nicht mehr von Wein-, sondern von Getreidefeldern gesäumt. Schon bald erreichen wir unser Tagesziel: Santo Domingo de la Calzada. Ich lasse mir den Namen auf der Zunge zergehen.
    Das Zimmer ist prächtig. Alles, was an Badezusätzen vorhanden ist, schütte ich in die Badewanne und veranstalte sozusagen ein Badefest.
    Nach einem kurzen, erholsamen Schlaf sehe ich mir den Ort und besonders die Kathedrale an. Ich möchte wissen, was an der Geschichte dran ist, die mir die Kölnerin an meinem zweiten Wandertag erzählt hat.
    Es ist Tatsache: In der Kathedrale von Santo Domingo werden ein Hahn und eine Henne gehalten, beide weiß und lebendig. Und wie ich erfahre, werden sie jede Woche ausgewechselt.
     
    Der Legende nach übernachtete ein Ehepaar mit seinem Sohn auf der Wallfahrt nach Santiago de Compostela in einem Wirtshaus in Santo Domingo. Die Tochter des Wirtes verliebte sich Hals über Kopf in den Sohn, wurde aber von ihm abgewiesen. Aus Rache nahm sie einen Silberbecher und verbarg ihn in seinem Gepäck. Dann lief sie zum Richter und bezichtigte den jungen Mann des Diebstahls. Nachdem der Becher entdeckt worden war, wurde der junge Mann zum Tod durch Erhängen verurteilt.
    Nach Vollstrecken des Urteils wollten die Eltern Abschied nehmen und gingen zu dem Baum, an dem ihr Sohn hing. Verwundert stellten sie fest, dass er lebte, weil Santo Domingo die Beine des Jungen stützte.
    Nachdem die Eltern den Sohn vom Baum geschnitten hatten, liefen sie zum Richter und berichteten von dem Wunder, das zugleich die Unschuld des Verurteilten bewies.
    Doch der Richter, der gerade zu Mittag essen wollte, lachte und meinte, der Junge sei ebenso lebendig wie die beiden Hühnchen, die er nun verspeisen werde. Ehe er aber mit der Gabel zustoßen konnte, flogen die zwei auf und davon.
     
    Die Kathedrale von Santo Domingo ist kalt, feucht und dunkel. Bei der Vorstellung, dass Gott in diesem alten Gemäuer wohnen könnte, wird mir ganz mulmig. Rasch gehe ich nach draußen. Ebenso wie bei der kleinen Kirche von Torres del Rio fühle ich mich vor dem Portal wesentlich wohler.
    Hier bricht sich das Sonnenlicht in den Fenstern, verströmt Wärme und zugleich Fröhlichkeit. Auf dem Vorplatz tollen Kinder herum, während die Erwachsenen miteinander schwatzen und lachen. Obschon ich ihre Worte nicht verstehe, lache ich mit ihnen.
    Gegenüber der Kathedrale nimmt der Parador, die ehemalige Pilgerherberge, die Touristen auf, die bequem im Auto vorfahren und anschließend weitere Annehmlichkeiten unserer Zivilisation genießen. Um nichts in der Welt würde ich mit ihnen tauschen wollen.
    Bei diesem Gedanken erröte ich und schäme mich ein wenig. Ich bin mir plötzlich nicht mehr sicher, ob es richtig war, mich in diesem Hotel mit der prächtigen Badewanne einzuquartieren.
    Ich muss unwillkürlich an jene Pilger denken, die auf Reisebequemlichkeiten verzichten und betend zum Wallfahrtsort gelangen. Im Mittelalter hatten sie sich in ein braunes oder graues Gewand gehüllt und den breitrandigen Pilgerhut mit der Jakobsmuschel geziert.
    Die Pilgermuschel, die damals zum Wasserschöpfen benutzt wurde, signalisiert auch heute noch: Ich bin ein Jakobspilger.
     

7. Wandertag: Santo Domingo – Villafranca – 33 km
     
    Jeder Tag ist anders. Gestern die herrlichen Felder, die Sonne, die warm auf meinen Pelz schien, ein wahrer Genuss. Und heute? Diesen Tag kann man vergessen.
    Immer der asphaltierten Straße entlang. Dieser Krach und Gestank, diese Wahnsinnshitze und dann das ewige Gezerre an der Leine, das hält der beste Pilgerhund nicht aus.
    Inka scheint topp fit zu sein. Während sie sich von den bisherigen Strapazen in diesem komfortablen Hotelzimmer bestens erholt hat, scheint mir die Nachtruhe auf dem behaglichen Teppich nicht bekommen zu sein. Der Gedanke, allmählich zu verweichlichen, treibt mich voran.
    Am Nachmittag geht
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