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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg
Autoren: Inka Ehrbar
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ich eine Glocke schlagen, als wir das erste Wohnviertel erreichen. Es ist Samstagmorgen.
    Allmählich scheint die Stadt zu erwachen. Die Häuser sind in wallende, durchscheinende Schleier gehüllt. Leise und verhalten klingen die Autos. Durch kleine, winklige Gassen gelangen wir zur Kathedrale. 24 Tage bin ich gegangen und nun stehe ich davor.
    Das Portal des Seitenschiffs ist mit vielen Jakobsmuscheln geschmückt, dem Symbol für Pilgerschaft und Pilgerpatrone. Die Muscheln und die gelben Pfeile haben mich all die Tage sicher zum Ziel geführt. Mir ist feierlich zumute. Andächtig betrete ich das Gotteshaus und lege die Wiesenblume, die ich auf dem Monte del Gozo gepflückt habe, auf den kleinen Altar.
    Lautlos verlasse ich wieder die Kathedrale. Ich bin da und kann es noch gar nicht richtig fassen.
    Draußen kaufe ich zwei Rosenkränze, die sich Elvira und meine Mutter gewünscht haben.
    Staunend schlendere ich an der Kathedrale entlang und nähere mich dem Plaza del Obradoiro, an dem auch das Hostal de los Reyes Catolicos liegt, ein staatlicher Parador.
    Ich fühle mich großartig und steige kurz darauf die Stufen zum Hauptportal der Kathedrale hoch, die trotz spätbarocker Ummantelung ein hervorragendes Beispiel frühromanischer Architektur in Spanien ist.
    Durch die Vorhalle Pórtico de la Gloria betrete ich die Kathedrale ein zweites Mal und bewundere zunächst den Skulpturenschmuck, ein großartiges Kunstwerk mit mehr als 200 Figuren und dem übermächtig thronenden Apostel. Einem alten Brauch folgend berühren die Pilger am Ende des Jakobswegs mit ihren Händen die Säule des Apostels Jakobus. Auch ich lege, wie schon Millionen vor mir, meine Hände dorthin und fühle mich eng verbunden mit all denen, die bereits hier waren, und jenen, die noch kommen werden. Für eine Weile befinde ich mich in Gedanken wieder auf meinem Weg und merke, wie mir Freudentränen über die Wangen laufen.
    Draußen begrüßt mich Tila überschwänglich und springt an mir hoch. Ich bin sehr stolz auf sie, denn sie hat mir auf unserem Weg manches Mal gezeigt, wie leicht es sein kann, die Dinge ganz unmittelbar zu sehen, so zu sehen, wie sie sind. Wenn sie jagen ging, was mich oft zur Weißglut gebracht hat, war sie immer ganz bei der Sache, dachte an nichts anderes als an das, was sie gerade tat. Sobald wir rasteten, legte sie sich auf der Stelle hin und ruhte sich aus. Ging es weiter, war sie sofort wieder fit und freute sich über jede Maus, die auftauchte. Wenn ich mich einsam fühlte, schmiegte sie sich an mich, als ob sie zeigen wollte, wie sehr ich ihr am Herzen liege.
    Ich sitze auf einer Mauer und beobachte das bunte Treiben vor der Kathedrale. Auf dem großen Platz treffen mehr und mehr Reisegruppen ein, die mit Schirmen, Fotoapparaten und Videokameras ausgerüstet sind.
    Ich bin froh, dass ich schon so früh hier war und dieses prächtige Bauwerk still und andächtig betrachten konnte.
    Nachdem ich im Pilgerbüro die Pilgerurkunde Compostela’ abgeholt habe, nehme ich zusammen mit Tila an der 12-Uhr-Messe teil. Da sie den langen Weg mit mir zurückgelegt hat, soll sie nun auch den Höhepunkt unserer Reise miterleben.
    Doch kaum hat die Messe begonnen, wird Tila unmissverständlich aufgefordert die Kirche zu verlassen. Eine ältere Dame, die offensichtlich bemerkt hat, wie wichtig mir dieser Gottesdienst ist, geht zusammen mit Tila hinaus.
    Ich verstehe zwar kaum ein Wort der in spanischer Sprache gehaltenen Messe, aber sie ist der krönende Abschluss meiner Wanderung.
    Unter all den Kirchenleuten entdecke ich plötzlich Lukas, den ich in Mansilla als Pilger kennen gelernt habe, und staune, als er anfängt zu predigen.
    Dann breitet sich ein narkotischer Duft aus. Drei Männer tragen einen Weihrauchkessel ins Querschiff und befestigen ihn an einem Seil.
    Von dem neben mir knienden Spanier erfahre ich, dass der ,Botafumeiro’ etwa 54 Kilo wiegen soll und nur aus besonderem Anlass zum Schwingen gebracht wird.
    „Und warum gerade heute?“, frage ich. Er zuckt mit den Achseln und entgegnet augenzwinkernd: „Vielleicht Ihretwegen.“
    Ich lächle und konzentriere mich auf das brausende Geräusch, das von einem Zischen begleitet wird, je höher der Kessel durch die Luft saust.
    Am Ende des Gottesdienstes wird der Segen in verschiedenen Sprachen gesprochen, auch in meiner Muttersprache. Während ich die beiden Rosenkränze fest in meinen Händen halte, weine ich vor Rührung und bin unendlich zufrieden und glücklich.
    Nach
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