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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg
Autoren: Inka Ehrbar
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habe ich mich bloß auf dieses Abenteuer eingelassen? Und das bei dieser Affenhitze.
    Aber egal, ob es heiß ist oder nicht, ich werde die Pilgertour durchstehen, durchstehen müssen, denn ohne mich wäre Inka verloren. Ich tröste mich darüber hinaus mit dem Gedanken, dass diese Wanderung irgendwann einmal ein Ende nehmen wird.
    Ich muss Inka mal fragen, wie lange Odysseus in der Weltgeschichte rumgeirrt ist; wahrscheinlich nicht halb so lang wie wir.
    Aber jetzt habe ich wirklich keinen Bock mehr!
     
    Erst als wir den Miño überqueren, lichtet sich der Nebel. Es wird brüllend heiß. Unterwegs fällt mir auf, dass ich in Galicien bislang nicht ein einziges großes Monument entdeckt habe, weder ein Ehrenmal noch ein Mahnmal. Stattdessen finde ich auf den Friedhöfen Gräber aus Granit, die an kleine Häuser erinnern und von einem oder mehreren Kreuzen bekrönt sind. Mir scheint, als symbolisiere die enorme Häufung von Kreuzen in Verbindung mit der keltischen Mythologie die Abwehr des Bösen.
    Der volkstümlichen Architektur entsprechen auch die Horreos, die Maisspeicher. Sie sehen ebenfalls wie kleine Häuser aus: ein rechteckiger Kasten aus Granit und Holz mit einem Satteldach aus Steinplatten. Sie stehen auf steinernen Säulen, damit Mäuse und anderes Getier nicht hochsteigen können. Manchmal schmücken bizarre Türmchen und Kreuze den Dachfirst.
    Ein Horreo ist schöner als der andere und ich kann mich gar nicht satt sehen an diesen prachtvollen kleinen Kunstwerken.
    Tila zeigt deutlich, dass sie keine große Lust mehr hat weiterzulaufen. Auf einer saftig grünen Wiese legen wir eine längere Pause ein. Die Sonne hat den Himmel tiefblau geputzt und strahlt. Während ich die Erde rieche und einen Marienkäfer über meinen Fuß klettern sehe, ist alles einfach und klar. Jeder hat seinen Platz und folgt seinem eigenen Rhythmus. Doch je mehr ich nachdenke, desto rätselhafter erscheint mir die Welt. Vieles verstehe ich nicht. Früher hat mich dieser Gedanke gequält. Ich wollte Missstände verändern, wollte wissen, warum etwas so ist und nicht anders. Und jetzt liege ich mit der Gewissheit in der Sonne, dass ich es mit Sicherheit erfahren werde, irgendwann, wenn es an der Zeit ist.
    Zunächst aber genieße ich diesen herrlichen Platz im Sonnenschein.
    Nach einem ausgiebigen Mittagsschlaf mache ich mich wieder fröhlich auf den Weg durch die hügelige Landschaft. Auf einem Feldweg begegne ich einer Frau, die ihre Kühe neben sich grasen lässt und in aller Seelenruhe Socken strickt. Später treffe ich einen Mann an, der vor seinem Haus ein großes Weinfass reinigt. All diese Leute lachen und winken mir zu.
    In Palas de Rei ist die Herberge von zwei Schulklassen erobert worden, deshalb quartieren wir uns im nahe gelegenen Hostal ein.
    Die Zimmersuche ist schon lange kein Problem mehr; entweder sind die Leute hier hundefreundlicher oder ich nehme alles gelassener als am Anfang.
    Den Abend verbringen Tila und ich auf dem Dorfplatz. Hier treffen sich Jung und Alt, erzählen und genießen wie ich die letzten Sonnenstrahlen des Tages.
    Danach befühle ich Waltis Taschentuch. Zwei Knoten sind bereits gelöst. Beim ersten Mal fand ich das Heftpflaster; das andere Mal den Stein aus Erlenbach. Weich, hart, also demnach weich...
    Ich durchbreche das bisherige System und entscheide mich für den harten Knoten. Ich öffne ihn und halte ein ,Vreneli’ ein Schweizer Goldstück, in meiner Hand. Auf dem beiliegenden Zettel ist zu lesen: Für den Notfall!
    Früher war es in der Schweiz unter Handwerksburschen und Studenten Brauch, dieses besondere Geldstück im Gürtel zu tragen; gewissermaßen als Notgroschen. Ich lächle still vor mich hin und denke an Walti, wie praktisch er denkt. Zugleich bin ich beeindruckt, wie liebevoll und feinfühlig er das Taschentuch gefüllt hat, denn auch heute noch hat das ,Vreneli’ seinen Wert. Nahezu überall kann man es einlösen.
    Ich bin fast am Ziel meiner Wanderung.
    Meine Gedanken eilen voraus: lediglich drei Tage bis Santiago de Compostela.
     

23. Wandertag: Palas de Rei – Arzúa – 31 km
     
    Heute ist mit mir nicht viel los ... ein paar Hühner... sonst nichts, was erwähnenswert wäre.
     
    In aller Herrgottsfrühe werden wir von einem Hahn geweckt, der seine Aufgabe sehr ernst nimmt: er kräht nahezu eine Stunde lang.
    Die Sonne lässt die Bäume in ihrem schönsten Grün erstrahlen und lockt uns mit ihrer Wärme nach draußen. Im Spiel der Farben entspricht die Landschaft
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