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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg
Autoren: Inka Ehrbar
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geschmückt. Kaum glaube ich, den schönsten Balkon ausgemacht zu haben, sehe ich einen noch schöneren.
    Zufrieden und fröhlich ziehen wir weiter. Mal an verkehrsreichen Straßen entlang und mal in die Einsamkeit. Ein ständiger Wechsel, ein Auf und Nieder, wie im so genannten richtigen Leben.
    In einem kleinen Ort gehe ich schnurstracks in eine Kaffeebar. Früher, es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, habe ich stets gefragt, ob ich Tila mit hineinbringen dürfe, und wurde abgewiesen. Tatsächlich, wenn ich nicht frage, habe ich eine viel größere Chance auf ein warmes Plätzchen. Ich trinke Kaffee und ruhe mich ein wenig aus.
    Draußen empfängt uns weicher, grauer Regen. Wir gehen wie durch eine kalte, nasse Nebelwand. Ich sehe zwar die mit Butterblumen gesäumten Wiesen, auch weidende Kühe und Pferde, aber die Landschaft kann ich in ihrer Schönheit nur ahnen.
    Aus dem Pfad, der sich steil bergauf schlängelt, ist ein schlammiger Bach geworden. Ich muss sehr genau hinschauen, wo ich hintrete, sonst rutscht mir der Boden unter den Füßen weg. Immer weiter bergauf.
    Ein Hirte, der mir mit vier Kühen, drei Schafen und einem Esel entgegenkommt, bringt ein wenig Abwechslung in die Einöde. Wir grüßen uns freundlich und schon versinken meine Füße wieder in der Matsche.
    Mit jedem Höhenmeter wird die Sicht noch schlechter, als sie schon ist. Ich sehe kaum mehr die Hand vor meinen Augen.
    Wir verlassen Kastilien und befinden uns nun in Galicien. In O Cebreiro regnet es in Strömen. Das Dorf liegt etwa 1200 Meter hoch. Einst war es bedeutsam, da sich hier eines der wenigen Hospitäler auf dem Jakobsweg befand.
    Mir springen sofort die Häuser ins Auge: Rundbauten mit Strohdächern, die Pallozas genannt werden. In der Herberge, die am anderen Ende des Dorfes gelegen ist, erfahre ich, dass die Konstruktion dieser Häuser auf einer mehr als 2500 Jahre alten keltischen Bautradition basiert.
    Ob die alten Kelten diese weiche, runde Form der Natur abgesehen haben, weiß ich nicht. Aber ich frage mich: Was ist von Natur aus eckig?
     

20. Wandertag: O Cebreiro – Calvor – 34 km
     
    Mir tun irgendwie alle Knochen weh. Das hängt bestimmt mit der Kälte und dem dichten Nebel zusammen.
    Es geht rauf und runter. Die Schneeflecken am Wegrand muntern mich ein wenig auf und so schaffen wir wieder mal einen Pass, der ziemlich hoch liegt. Über Inka kann ich mich bloß wundern. Sie scheint von einem Höhenkoller befallen zu sein, denn plötzlich fängt sie an zu singen. Na ja, vielleicht ist sie schon zu lange unterwegs und hat ihre Gefühle nicht mehr ganz unter Kontrolle.
    Also, nichts wie weg. Aber die Gegend enttäuscht mich. Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen; nur ab und zu höre ich ein Auto auf der Passstraße, die unmittelbar neben unserem Weg verläuft. So geht es stundenlang bergab.
    Im nächsten Dorf erwartet uns dann eine schöne Abwechslung. Es gibt Makkaroni mit einer göttlichen Fleischsoße; danach eine Weile verschnaufen, ein bisschen schlafen... Denkste!
    Inka startet gleich durch, als ob wir etwas verpassen würden. Also, auf die drei Hühner und die beiden Kläffer, die mir auf den verbleibenden dreizehn Kilometern begegnen, hätte ich leicht verzichten können.
    Wieder ein Tag, den ich vergessen kann.
     
    Der Nebel verschluckt die Häuser von O Cebreiro. Es kommt mir so vor, als gehe ich ins Nichts. Ein eigenartiges Gefühl, aber nicht unangenehm.
    Beim Anstieg zum Alto de San Roque sehe ich vor mir einen seltsamen Wanderer, der wie ein Pilger aus früherer Zeit aussieht. Erst als ich nah an ihn herankomme, erkenne ich, dass es sich um eine Statue aus Bronze handelt.
    Schnee säumt den Weg, der steil bergauf zum höchsten Pass des Jakobswegs in Galicien führt. Auf dem etwa 1300 Meter hohen Alto do Poio befindet sich eine kleine Herberge, in der ich von der Besitzerin freundlich begrüßt werde.
    Sie scheint sich zu freuen, weil jemand vorbeikommt, und kocht rasch Kaffee. In der gemütlich warmen Küche sitze ich an einem Tisch, der rund um den großen Herd verläuft, und spüre, wie allmählich meine Lebensgeister zurückkehren.
    Während die Frau Gemüse in die Suppe schneidet und ihre gewohnte Arbeit verrichtet, fühle ich mich wie zu Hause.
    Wohl gestärkt und guter Laune machen wir uns an den Abstieg. Auf den nächsten zwölf Kilometern liegen 700 Höhenmeter vor uns. Ich fühle mich frei wie ein Vogel und stimme lauthals ein Lied an.
    Der Himmel ist noch bedeckt, aber allmählich
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