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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg
Autoren: Inka Ehrbar
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treu begleitet. Ich empfinde etwas, das nur schwer zu beschreiben ist. Ich bin glücklich, gerührt und unendlich zufrieden. Tila, so scheint es mir, versteht meine Empfindungen. Während ich nahezu feierlich unser Brot und den Käse auspacke, liegt sie mucksmäuschenstill neben mir.
    Ich erinnere mich an eine Freundin, die mal gesagt hat: Abendmahl wird überall da gefeiert, wo Menschen zusammen essen, etwas miteinander teilen und sich mit warmen Herzen zusammenfinden.
    Und so teilen Tila und ich unser letztes Brot und den Käse. Ich esse sehr bewusst. Tila ist zwar kein Mensch, aber sehr wohl eine Kreatur. Sie scheint diese besondere Stimmung, die mich ergriffen hat, zu spüren und frisst ganz ruhig ihren Anteil am Brot. Sie schlingt nicht, bleibt still liegen und sieht mich ab und zu an.
    Später packe ich meine ,Schätze’ aus: mein Tagebuch, den kleinen Engel von Elvira, den goldenen Reif von Daniella, drei Briefe von Rita, die ich nicht geöffnet habe.
    Es gab Momente auf meiner Reise, da habe ich mich gefragt: Bin ich jetzt am Ende meiner Kraft? Aber die Antwort war immer eindeutig ausgefallen: Nein!
    In solchen Augenblicken wurde mir deutlich, wie gut es mir ging.
    Außerdem gibt es das Taschentuch von Walti. Es ist nicht mehr schneeweiß. Es trägt einige Zeichen meiner Reise: Blutflecken, nachdem ich mir in den Finger geschnitten hatte; Schweiß, den ich mir von der Stirn gewischt hatte; auch Tränen, die aus Wut, Ärger und Einsamkeit geflossen sind, aber ebenso aus Freude oder unendlichem Glück.
    Und nun sitze ich auf dem ,Berg der Freude’ und bin fast am Ziel meiner Wanderung.
    Überglücklich rufe ich Walti an.
    Ja, er wird mich morgen abholen, wie versprochen.
    Alles stimmt... keine Worte dieser Welt können meine Gefühle beschreiben. Ich nehme Waltis Taschentuch und versuche den letzten Knoten zu lösen. Er ist noch fester gezogen als die anderen.
    Mit dem bewährten Zahnstocher und viel Geduld schaffe ich es schließlich. Ich finde ein winzig kleines Päckchen aus Seidenpapier und zwei noch winzigere Zettelchen mit den Zahlen 1 und 2.
    Die Buchstaben auf Zettel 1 fließen ineinander, haben sich nahezu aufgelöst und verschwimmen vor meinen Augen, aber schließlich kann ich sie entziffern:
    Nimm das Päckchen zwischen beide Daumen und Zeigefinger, schließ die Augen, komm mit dem Kopf über das Päckli und zieh es schnell auseinander.
    Leichter geschrieben - als getan. Erstens ist das Päckli so winzig klein und zweitens bin ich gespannt wie ein Flitzbogen. Doch es gelingt. Ich schließe meine Augen und ziehe das Päckli rasch auseinander. Ich warte einen Augenblick, dann noch einen... Und? Ich öffne wieder die Augen, sehe auf meine Hände, auf den Boden. Nichts! Absolut nichts!
    Ich lese das zweite Zettelchen: Du hast ihn gespürt, nicht wahr? Meinen warmen, feuchten Kuss.
    Und wie ich ihn gespürt habe.
    „Walti, du bist ein Schatz!“, rufe ich vor lauter Glück.
     

25. Wandertag: Monte del Gozo – Santiago – 4 km
     
    Also, ich versteh die Weit nicht mehr. Inka spielt total verrückt. Ob es so etwas wie einen ‚Pilgerkoller’ gibt?
    Den ersten Anfall hatte sie gestern Abend, als wir friedlich auf dem ,Berg der Freude’ picknickten. Der Blick auf die Stadt war grandios, der Käse schmeckte ausgezeichnet, na ja, über Brot lässt sich bekanntlich streiten.
    Hellhörig wurde ich in dem Moment, als Inka mit Walti telefonierte. Klaro, ich hab sofort kapiert, dass er tatsächlich kommen und uns abholen wird. Nun gut, soll er, ich freu mich auch darauf ihn wiederzusehen.
    Auf der anderen Seite werde ich mich damit ab finden müssen, dass Inka sich dann wieder mehr mit ihm als mit mir beschäftigt.
    Aber wie sollte es weitergehen? Inka befand sich nämlich in einem Zustand, einem erschreckenden Zustand, der mir Kopfschmerzen bereitete.
    Also, ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Jedenfalls hat sie nach dem Telefongespräch mit Walti wieder an diesem blöden Taschentuch rumgemacht. Ich döste nichts Böses ahnend vor mich hin und rief mir gerade Höhepunkte unserer Wanderung in Erinnerung...
    „Walti, du bist ein Schatz!“, schrie Inka plötzlich auf. Wie von der Tarantel gestochen sprang ich hoch und dachte zunächst: Jetzt fällt er vom Himmel herab, unser Walti. Klaro, ich habe ihn natürlich überall gesucht, aber nirgendwo gefunden.
    Also, ich glaub, Inka sieht Gespenster. Ich weiß beim besten Willen nicht, was mit ihr los ist.
    Sie schien heute Morgen mit dem linken Fuß
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