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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg
Autoren: Inka Ehrbar
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aufgestanden zu sein und bekam gleich den zweiten Anfall. Sie geriet völlig aus dem Häuschen und lief aufgeregt hin und her, bis sie endlich unsere Siebensachen gepackt hatte. Nun gut, ich bin ja einiges gewohnt, aber dass sie mich dann über eine Stunde allein im Zimmer ließ, das nehme ich ihr nun doch ein wenig übel.
    Und deshalb schmolle ich mit ihr. Dennoch werde ich in den nächsten Stunden höllisch auf sie aufpassen müssen. Wer weiß, was sie sonst noch alles anstellt.
    Ob ich mit ihr zum Arzt gehen soll?
     
    Wie auch immer, jetzt marschieren wir los, stets bergab, mitten in die Stadt hinein. Kurz bevor wir die Kathedrale erreichen, ich war wohl ein wenig unaufmerksam, ist Inka plötzlich verschwunden. Das darf nicht wahr sein! Ebenso plötzlich kommt sie aus irgendeinem Tor heraus. Anstatt zu erklären, warum und weshalb sie mich allein gelassen hat und was sie dort gesucht hat, macht sie sich auf den Weg zum Pilgerbüro.
    Also hier gefällt es mir recht gut. Jedenfalls wird mein Name in einem riesengroßen Pilgerbuch für immer und ewig festgehalten. Jeder, der nach Santiago de Compostela kommt, sollte mal unter dem Datum 09.05.98 nach lesen, wer an diesem ehrwürdigen Tag alles da war. Na? Na?
    Richtig! Ich! Tila! Der Pilgerhund, Höllenhund und beinahe Flughund... Ach ja, Inkas Name steht übrigens auch dort.
     
    Auf der Plaza del Obradoiro sammeln sich vor der Kathedrale nach und nach immer mehr wandelnde Regenschirme. Vermutlich Pilger. Es gießt wie aus Eimern.
    Einer dieser Regenschirme steuert direkt auf uns zu und fragt: „Wie war’s denn so auf dem camino?“
    Wieder so ein Pressemann, der mich erst interviewen will und dann wahrscheinlich ein Autogramm von mir fordert. Ohne mich! Ein Blick zu Inka genügt und schon speist sie ihn ab; sehr souverän. Wie in alten Zeiten!
    Demnach scheint sich der Pilgerkoller verflüchtigt zu haben.
    Hurra! Ich darf mit in die Kathedrale. Wenn das mal gut geht! Um Inka nicht zu kompromittieren, verkrieche ich mich gleich unter der erstbesten Bank. Aber wie nicht anders zu erwarten, ein Hund bleibt natürlich nicht unerkannt, nicht einer wie ich.
    Eine nette Dame, die mich schon beim ersten Blickkontakt wohlgefällig angeschaut hatte, verhält sich mir gegenüber solidarisch. Ehe man mich aus dem Tempel vertreiben kann, gelange ich unter ihrem Schutz nach draußen. Während ich auf Inka warte, aale ich mich ein wenig in der Sonne.
    Bald darauf kommt sie und da uns der Trubel vor der Kathedrale zu bunt wird, fahren wir zum Flughafen hinaus.
    Walti wartet schon auf uns. Welche Freude! Jetzt sind wir drei endlich wieder vereint. Meine Odyssee hat ein gutes Ende genommen und ich überlege ernsthaft, ob wir im nächsten Jahr nicht nach Rom oder gar nach Jerusalem pilgern sollten.
     
    Heute Morgen stehe ich mit einem Gefühl auf, das nur schwer zu erklären ist. Ich komme mir wie ein kleines Kind vor, das am Heiligen Abend auf die Bescherung wartet. Ich kann es kaum erwarten, Santiago de Compostela zu betreten und am Endpunkt des Jakobswegs vor der Kathedrale zu stehen.
    Ich dusche ausgiebig und ziehe meine letzte frische Bluse an. Es gehört zur Tradition der Pilger, den Fuß sauber in die heilige Stadt zu setzen. In einem alten Pilgerführer habe ich gelesen, die Pilger hätten aus Liebe zum Apostel im Fluss Labacolla nicht nur einzelne Körperteile gereinigt, sondern den Schmutz des ganzen Körpers abgewaschen. Ich muss nicht in den Fluss steigen, denn heute sind beinahe alle Pilgerherbergen mit Duschen ausgestattet.
    Zum letzten Mal packe ich meinen Rucksack.
    Fast alles, was ich mit auf die Reise genommen habe, ist aufgebraucht. Die Medikamente, die meine Tochter sorgsam ausgewählt hatte, habe ich nicht benutzt, außer der Blasenpflaster. Lachend halte ich den Rasierapparat in den Händen, den unser fürsorglicher Tierarzt für das Wichtigste überhaupt gehalten hatte. Falls Tila von einem Hund gebissen würde, müsste ich sofort die Stelle rasieren und desinfizieren, hatte er gemeint. Wir haben auch ihn Gott sei Dank nicht gebraucht.
    Nachdem der Rucksack gepackt ist, gehe ich in aller Ruhe frühstücken, denn dieser Tag, der für mich etwas ganz Besonderes ist, soll wie ein Fest beginnen.
     
    Nebel liegt über der Stadt. Was ich zuerst bedauerlich finde, kehrt sich schnell ins Gegenteil. Je weiter ich auf die Stadt zugehe, umso mehr kommt es mir vor, als hätte sie sich herausgeputzt und allein für mich ihr schönstes Gewand übergezogen.
    Neunmal höre
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