Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hintermann

Der Hintermann

Titel: Der Hintermann
Autoren: Daniel Silva
Vom Netzwerk:
1
    L IZARD -H ALBINSEL , C ORNWALL
    Es war der Rembrandt, der die endgültige Lösung des Rätsels brachte. In den beschaulichen Shops, in denen sie einkauften, und den dunklen kleinen Pubs am Hafen, in denen sie tranken, rügten sie sich später dafür, dass sie die unverkennbaren Anzeichen übersehen hatten, und belächelten einige ihrer ausgefalleneren Theorien über seine tatsächliche Arbeit. Denn keiner von ihnen hatte nicht einmal in seinen wildesten Träumen die Möglichkeit erwogen, dass der schweigsame Mann, der am Ende der Gunwalloe Cove genannten Bucht wohnte, ein Kunstrestaurator sei, noch dazu ein weltberühmter.
    Er war nicht der erste Außenseiter, der mit einem Geheimnis, das er zu bewahren wünschte, nach Cornwall herunterkam, aber nur wenige hatten ihres eifersüchtiger oder stilvoller und listiger gehütet. Allein die merkwürdige Art, wie er ein Haus für sich und seine schöne, viel jüngere Frau gemietet hatte. Nachdem er sich für ein romantisches Cottage auf den Klippen entschieden hatte – allen Berichten nach ohne vorherige Besichtigung –, hatte er eine volle Jahresmiete auf höchst diskrete Weise über einen obskuren Hamburger Anwalt vorausgezahlt. Zwei Wochen später zog er dort draußen ein, als führe er ein Kommandounternehmen gegen einen feindlichen Vorposten durch. Allen, die ihn bei seinen ersten Streifzügen durchs Dorf kennenlernten, fiel seine extreme Verschlossenheit auf. Er schien keinen Namen zu haben – zumindest keinen, den er verraten wollte –, und selbst über seine Nationalität konnte nur spekuliert werden. Duncan Reynolds, vor zwanzig Jahren bei der Eisenbahn pensioniert und wegen seiner Lebensklugheit in Gunwalloe allgemein geachtet, beschrieb ihn als »ein Rätsel von einem Mann«, während andere Urteile von »abweisend« bis »unerhört grob« reichten. Trotzdem waren sich alle darüber einig, dass ihr kleines Dorf Gunwalloe im Westen Cornwalls – zum Guten oder Schlechten – ein interessanteres Fleckchen geworden war.
    Im Lauf der Zeit bekamen sie heraus, dass er Giovanni Rossi hieß und wie seine schöne Frau aus Italien stammte. Noch merkwürdiger wurde es jedoch, als ihnen aufzufallen begann, dass auf den Straßen des Dorfs und der näheren Umgebung spätnachts vermutlich Kriminalbeamte in neutralen Dienstwagen unterwegs waren. Und dann gab es noch die beiden Kerle, die manchmal in der Bucht angelten. Einig war man sich darüber, dass sie die schlechtesten Angler waren, die man je gesehen hatte. Die meisten vermuteten sogar, sie seien überhaupt keine Angler. Wie in einem Nest wie Gunwalloe nicht anders zu erwarten, löste das alles eine intensive Diskussion über die wahre Identität des Zugereisten und das tatsächliche Wesen seiner Arbeit aus – eine Diskussion, die zuletzt durch das Porträt einer jungen Frau , Öl auf Leinwand, 104 mal 86   Zentimeter, von Rembrandt van Rijn beendet wurde.
    Wann das Gemälde eingetroffen war, ließ sich nicht genau feststellen. Sie vermuteten, das sei irgendwann Mitte Januar gewesen, denn ab diesem Zeitpunkt änderte sich sein Tagesablauf radikal. Gestern war er noch mit finsterer Miene, als ringe er mit einem schlechten Gewissen, über die steil abfallenden Klippen der Lizard-Halbinsel marschiert. Am Tag darauf stand er mit Pinsel und Palette vor der Staffelei in seinem Wohnzimmer und hörte dabei so laut Opernmusik, dass man das Gejaule noch in Marazion jenseits der Mount’s Bay hören konnte. Weil sein Cottage ziemlich nahe am Küstenweg stand, konnte man ihn – wenn man an genau einer Stelle haltmachte und sich den Hals verrenkte, versteht sich – in seinem Atelier erblicken. Anfangs sah es ihnen danach aus, als ob er an einem eigenen Bild arbeite. Aber in den folgenden Wochen zeigte sich immer deutlicher, dass er den Beruf eines Konservators oder, was die geläufigere Bezeichnung war, eines Restaurators ausübte.
    »Was zum Teufel heißt das?«, fragte Malcolm Braithwaite, ein alter Hummerfischer, der auch im Ruhestand noch nach Meer roch, eines Abends im Pub Lamb & Flag.
    »Das heißt, dass er das verdammte Ding auffrischt«, sagte Duncan Reynolds. »Ein Gemälde ist wie ein lebendiges, atmendes Wesen. Wird es alt, kriegt es Schuppen und schlafft ab – genau wie du, Malcolm.«
    »Wie ich höre, ist’s ein junges Mädchen.«
    »Hübsch«, sagte Duncan nickend. »Wangen wie Äpfel. Echt zum Anbeißen.«
    »Wissen wir den Künstler?«
    »Daran arbeiten wir noch.«
    Und das taten sie wirklich. Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher