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Der Insulaner

Der Insulaner

Titel: Der Insulaner
Autoren: John Maddox Roberts
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aus duftenden Gräsern, über die ein Fell gebreitet worden war. Er legte sich auf den Rücken, die Hände unter dem Kopf verschränkt, und lauschte dem Regen, der auf das Hüttendach trommelte. Die Dächer der Hütten bildeten kleine Kuppeln, die auf einem Rahmen aus jungen Bäumchen ruhten, über den man fest miteinander verbundene Rindenstücke gespannt hatte. Die Behausungen boten guten Schutz vor Unwettern, aber die Shasinn verbrachten die meiste Zeit im Freien und zogen sich nur in die Hütten zurück, wenn schlimme Stürme drohten, sie schlafen oder ein Mann und eine Frau miteinander allein sein wollten.
    Aus weiter Ferne hörte Hael das Brüllen eines großen Raubtieres, das wahrscheinlich grollte, weil der Regen die Beutetiere vertrieb. Nachtvögel stießen ihre schrillen Schreie aus. Allmählich fielen ihm die Augen zu, und die nächtlichen Laute vermischten sich mit seinen Träumen, die von seltsamen Kreaturen bevölkert wurden. Hin und wieder träumte er von wohlbekannten Dingen, aber oft erschienen ihm Bilder, die gänzlich unbekannte Orte und Wesen zeigten. Viele Menschen behaupteten, Ereignisse in Träumen vorausgesehen zu haben. Doch Hael mochte nicht daran denken, dass einige der Dinge, die ihm begegneten, wirklich wahr werden sollten.
    Der Ruf der Fiederfische, die in ihre Höhlen zurückkehrten, um dort den Tag zu verschlafen, weckte ihn. Ohne sich die Mühe des Ankleidens zu machen, kroch er aus der Hütte und schritt zu dem riesigen Wasserbottich hinüber, der in der Mitte des Lagers stand. Während sich ein perlgraues Licht am östlichen Himmel zeigte, spülte sich Hael den Mund aus und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Der Bottich stand neben dem Lagerschuppen, der aus einem Strohdach auf vier Pfosten bestand. Darunter wurden die Schilde, Trommeln und andere Gegenstände, wie Übungsspeere, Zielscheiben, Kampfstöcke und Töpfe mit Farbe und Öl gelagert.
    »Hael!«
    Er drehte sich um. Gasam kam auf ihn zu. Obwohl alle Mitglieder der Bruderschaft gleichberechtigt waren, wurde Gasam, der älteste von ihnen, als Anführer betrachtet. Außerdem war er Haels Stiefbruder, und die beiden hatten sich ihr Leben lang gehasst. Jedoch zwangen sie die Bräuche der Bruderschaft, höflich miteinander umzugehen. Gasam war bereits ein richtiger Mann, mit breiter Brust und strotzenden Muskeln. Er bemalte sich mit Vorliebe das Gesicht und trug unzählige Ketten und Anhänger aus Kupfer und Perlen. Auch war er stolzer Besitzer eines der drei Kurzschwerter, die es im Kreis der jungen Krieger gab.
    »Du musst dich heute um das Wasser kümmern«, bemerkte er. »Dafür bist du bis zum Nachmittag vom Herdendienst befreit.« Er sprach ausgesprochen höflich, aber der spöttische Blick und sein Tonfall reichten aus, um seine Verachtung kundzutun.
    »Warum immer ich?« Hael brachte den üblichen Einwand an, um sowohl seinen Ärger über Gasam wie auch seine Freude über die ihm auferlegte Pflicht zu verbergen. Vor fünf Tagen hatte er zuletzt am Fluss geweilt, um den Frauen behilflich zu sein. Er hoffte, Larissa zu begegnen. »Krieger sollten kämpfen und das Vieh hüten, aber keine Lasten schleppen.«
    »Nun, richtige Krieger sicher nicht«, erwiderte Gasam. In Wirklichkeit war er ebenso unerfahren im Kampf wie alle jungen Männer der Bruderschaft, aber er gab gerne vor, den anderen überlegen zu sein. Als Ausgleich dafür, dass sie so lange zu den Knaben zählten, durften die älteren unter ihnen den jüngeren Anweisungen erteilen und mussten sich nicht mit niederen Arbeiten abgeben. »Kampo wird dich mit den anderen am Geisterpfahl erwarten, wenn die Sonne hoch am Himmel steht.«
    Hael lief zu der Hütte hinüber, die sich Luo und Raba teilten. Die beiden standen gähnend und sich reckend vor dem Eingang. Luo sah ihn kommen und rief: »Erzähl uns bloß nicht, dass du heute Wasser schleppen musst! Wir sind auch dabei. Gasam, dieser vorzüglichste aller Krieger, hat uns gerade aufgesucht.«
    »Und nun wünscht ihr euch«, meinte Raba, »dass ich meine Magie anwende, damit ihr wunderschön werdet und den Frauen gefallt. Leider seid ihr unglaublich hässlich, aber ich will sehen, was ich tun kann.«
    Er verschwand in der Hütte und erschien mit einer flachen Holzkiste wieder. Darin befanden sich verschiedene Töpfchen mit Farbe und feine Pinsel. Geschickt umrandete er Haels Augen schwarz und zog blaue Linien über die hohen Wangenknochen. Dann tauchte er die Fingerspitze in ein Töpfchen mit roter Farbe und betupfte eine
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