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Der Insulaner

Der Insulaner

Titel: Der Insulaner
Autoren: John Maddox Roberts
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keine Sekunde daran, dass sie sich insgeheim nach ihren Tagen in der Bruderschaft der jungen Krieger sehnten, als außer dem Hüten der Herden und dem Kampf keinerlei Verpflichtungen auf ihnen lasteten. Dabei kam den jungen Männern nicht in den Sinn, dass es auch sie eines Tages nach Frauen und Kindern, nach Eigentum und Ansehen gelüsten würde.
    Lachend und scherzend wateten die Frauen in das seichte Wasser und füllten die großen Krüge. Die jungen Krieger warteten am Ufer und nahmen sie entgegen, um sie auf ebenem Boden abzustellen. Dabei gaben sie vor, die schweren, überschwappenden Gefäße mühelos heben zu können, und die Frauen kicherten übermütig, da ihnen die angestrengten Bemühungen natürlich nicht verborgen blieben.
    Hael bewunderte die Frauen des Stammes, deren Schönheit sich mit dem guten Aussehen der Männer messen konnte. Zwar wusste er nicht, dass Reisende, die einen Fuß auf die Inseln setzten, die Shasinn als das anmutigste Volk der Welt bezeichneten, aber diese Bezeichnung hätte ihn keineswegs überrascht. Die Frauen achteten sorgfältig darauf, ihre Haut vor den Strahlen der Sonne zu schützen, trugen Hüte und Schleier und rieben sich mit Salben ein. Daher hatte die Haut der meisten von ihnen eine Farbe wie blasses Gold. Die Haarfarben wiesen jede Schattierung zwischen einem dunklem Kupferton und einem Weiß auf, und die Augen der Shasinn strahlten in allen denkbaren Blautönen. Die schlanken, kräftigen Körper vermochten sich mit unnachahmlicher Grazie zu bewegen.
    Flussabwärts trieben ein paar Kinder eine kleine Quilherde ins Wasser, die ihr tägliches Bad nehmen sollte. Die fetten, trägen Tiere waren ebenso groß wie Kaggas, mussten aber mindestens eine Stunde täglich in fließendem Wasser verbringen. Sie waren ausgesprochen dumm und boten eine leichte Beute für Raubtiere. Deshalb mussten sie zu allen Zeiten gut bewacht werden. Zweimal im Jahr, zur Paarungszeit, wuchsen ihnen unwahrscheinlich lange, feine Haare. Nach der Schur verkauften die Shasinn die Haare ballenweise an die Männer mit den behaarten Gesichtern, die sie zum Festland brachten, wo man feinste und kostbarste Stoffe daraus wob.
    Die nackten Kinder kreischten und planschten im Wasser, wuschen einander so wie die Quil, während zwei Mitglieder der Graskatzenbruderschaft sie bewachten.
    Bei dem Gedanken an die Männer mit den haarigen Gesichtern fuhr sich Hael mit den Fingern über das Kinn, achtete jedoch darauf, die Bemalung nicht zu verwischen. Seine Haut fühlte sich glatt an. Keiner der Inselbewohner hatte einen so starken Haarwuchs wie die Männer vom Festland, aber sobald sich die Knaben dem Mannesalter näherten, sprossen auf ihren Oberlippen und am Kinn ein paar struppige, drahtige Haare. Sie ließen sich mit Leichtigkeit auszupfen, und nach ein oder zwei Jahren wuchsen keine weiteren nach.
    Hael hoffte, heute ganz besonders gut auszusehen, denn er hatte Larissa unter den Frauen entdeckt. Sogar inmitten dieser ausgesprochen hübschen Mädchen fiel sie deutlich auf. Da die Shasinn im Allgemeinen eine hohe Stirn und ausgeprägte Wangenknochen hatten, verliehen ihr die schmalen, feinen Gesichtszüge etwas Exotisches. Sie besaß dunkelblaue, fast violette Augen, mit einem dunklen Rand um die Iris. Das ungewöhnlichste an ihr waren jedoch die Augenbrauen. Zu dem sehr hellen Haar des Mädchens bildeten die dunklen, fast schwarzen Augenbrauen einen außergewöhnlichen Kontrast. Als Kind hatte man sie deshalb oftmals gehänselt, wenngleich niemals bösartig, denn die hohe Stellung von Larissas Vater im Ältestenrat und das Ansehen, das ihre Mutter als beste Hebamme des Stammes genoss, hatten natürlich für gebührenden Respekt gesorgt. Als Larissa älter wurde, wuchs sie zu einer bewunderten Schönheit heran, einer Zierde ihres Volkes.
    Hael kannte sie sein Leben lang. Als Kinder hatten sie zusammen gespielt, die Quil gebadet und alles getan, was auch die anderen Kinder des Stammes machten. In jener Zeit hatten sie einander sehr nahe gestanden, denn ihr ungewöhnliches Aussehen und seine Elternlosigkeit machten sie zu Außenseitern.
    Haels Mutter war bei der Geburt ihres zweiten Kindes gestorben, das ebenfalls nicht am Leben blieb, und sein Vater kam wenige Monate später beim Kampf gegen einen feindlichen Stamm um. Eine Tante und ihr Gemahl hatten ihn zu sich genommen – aber nur, weil sie es für ihre Pflicht hielten. Die beiden genossen hohes Ansehen. Da Hael jedoch nur ein Pflegesohn war, blieben ihm die
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