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Der Insulaner

Der Insulaner

Titel: Der Insulaner
Autoren: John Maddox Roberts
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Reihe von Punkten entlang des Unterkiefers des jungen Kriegers. Zum guten Schluss versah er das Kinn noch mit einem senkrechten gelben Streifen und trat zurück, um sein Werk selbstgefällig zu betrachten. »Na also! Vielleicht wirst du sie jetzt nicht mehr allzu sehr erschrecken.«
    »Vielen Dank, Raba. Als Gegenleistung werde ich ihnen nichts von dir und dem Kaggaweibchen erzählen.«
    Hael begab sich zu seiner Hütte und kleidete sich an. Als er das Stirnband anlegte, sehnte er sich nach der Zeit, wenn sein Haar wieder lang genug sein würde, um es ordentlich flechten zu können. Dann zog er die Schutzhülle von seinem Speer, rollte sie zusammen und verstaute sie in der Gürteltasche, ehe er zum Schuppen schlenderte, wo sich inzwischen zahlreiche Krieger versammelt hatten, die sich lachend und plaudernd wuschen oder mit Wasser bespritzten. In einer Ecke des Schuppens, neben einem Gestell für die Speere und einem Stapel Wurfstäbe, stand ein Topf mit Faustnußöl. Entlang der Küste wuchsen unzählige Faustnußbäume. Ihre Früchte besaßen auffallende Ähnlichkeit mit einer menschlichen Faust, waren aber ungenießbar. Dafür wurde wohlriechendes Öl aus ihnen gewonnen, das sich hervorragend zum Schutz von Metall, zur Lederpflege und anderen Dingen eignete. Auch tränkte man Stoffe und Rindenstücke darin, um sie wasserundurchlässig zu machen. Hael rieb das Metall der Waffe sorgfältig ein und verteilte dann das Öl über Arme, Schultern und den Brustkorb, um der Haut einen goldenen Schimmer zu verleihen.
    Mit lässigen Schritten schlenderte er, den Speer über die Schulter geworfen, durch das Lager zum Geisterpfahl. Der aus Bronzeholz geschnitzte Pfahl, das Schutztotem der Bruderschaft, war mannshoch und so dick wie der Oberschenkel eines Kriegers. Auf der Spitze thronte der Schädel einer Nachtkatze, und heilige Runen und Bilder waren in den Stamm geschnitzt. Wenn das Lager abgebrochen wurde, stellte das Umstellen des Pfahls eine äußerst anstrengende Arbeit dar. Das dunkle, beinahe schwarze Bronzeholz verdankte seinen Namen der Härte, dem Gewicht und der Festigkeit des Holzes.
    Noch ehe die Sonne mehr als einen Fingerbreit über dem Horizont stand, waren alle Wasserträger versammelt: neun junge Krieger und Kampo, der bereits älter war und ein wenig träge und langsam wirkte. Selbst unter den Shasinn, die allgemein für ihre Schönheit bekannt waren, galt er als ungewöhnlich gutaussehend. Kampo war der stolze Besitzer einer Halskette aus Silber und trug zahlreiche farbige Perlenketten. Als sich die Jüngeren eingefunden hatten, hob er den Speer und die Gruppe setzte sich in Trab. In dieser Gangart legten sie lange Strecken zurück und konnten sie mühelos mehrere Stunden beibehalten, selbst wenn sie die schweren Schilde bei sich trugen.
    Zwei Meilen vom Lager entfernt lag das Dorf in einer Biegung des Flüsschens Bunda. Es bestand aus ungefähr fünfzig wahllos errichteten Hütten und ein paar lang gestreckten Versammlungshäusern, umgeben von Pferchen für das Vieh. Rings um das Dorf zog sich eine Palisade, die von Dornbüschen gekrönt wurde. Dieser Wall sollte Menschen und Vieh vor Raubtieren schützen, die während der Nacht auf Beutesuche gingen. Die Shasinn verschanzten sich bei Kämpfen niemals hinter der Palisade, sondern zogen immer das freie Feld vor.
    Die jungen Männer schlugen einen Bogen um das Dorf und schritten auf die Wasserstelle zu. Am Ufer des Flusses hatten die Shasinn ein Becken aus flachen Steinen angelegt, zwischen denen sich Schlamm und Schlick sammelten, so dass die Dorfbewohner das klare Wasser schöpfen konnten.
    Als sich die jungen Krieger dem Fluss näherten, verließ eine Gruppe das Dorf, die von einigen älteren Männern begleitet wurden. Wenige Minuten später traf auch sie am Wasserbecken ein. Die Frauen trugen Gewänder aus einfachem Tuch – in leuchtenden Farben. Zum Teil waren die Stoffe mit auffälligen Mustern versehen. Die verheirateten Frauen trugen die Gewänder, die bis zu den Knien reichten, eng um den Körper gewickelt. Die jungen Mädchen verknoteten die Tuchbahnen über einer Schulter und ließen sie lose herabhängen. Die keckeren unter ihnen wagten sogar, einen Spalt an der Seite offen zu lassen. Die Kunst bestand darin, die Männer glauben zu machen, sie könnten mehr sehen, als so tatsächlich möglich war.
    Nachdem sie die Frauen sicher zur Wasserstelle geleitet hatten, kehrten die älteren Krieger zum Dorf zurück. Hael und seine Gefährten zweifelten
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