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Der Hundeknochen

Der Hundeknochen

Titel: Der Hundeknochen
Autoren: Niklaus Schmid
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bei meinem Anblick noch um einiges.
    »Verzeihung, kochen«, sagte sie und wischte sich die Finger an der Schürze ab, bevor sie mir die Hand zur Begrüßung reichte.
    Ich drückte mein Bedauern über den Tod ihres Mannes aus und kam schnell zur Sache. »Haben Sie mit Ihrem Mann noch sprechen können im Krankenhaus?«
    »Nichts sprechen.«
    Ich merkte, daß sie mich falsch verstanden hatte, und formulierte die Frage anders: »Hat Ihr Mann noch etwas sagen können, wie der Unfall passiert ist?«
    »Sie Polizei?«
    Meine Antwort schien sie zu erleichtern. Sie hob den Deckel vom Kochtopf, rührte in dem Essen und sagte: »Bitte warten!«
    Sie verschwand durch die Korridortür. Ich hörte ihre Schritte, die wie in einem Gefängnis hallten, und zwischendurch Klopfen an Türen und Rufen in einer fremden Sprache.
    Ich nutzte die Zeit, mich umzublicken. Die Einrichtung schien vom Sperrmüll, die ordentlich aufgehängte Kleidung aus einer Rotkreuzsammlung zu stammen. An der Wand hing das Foto eines Mannes, gerahmt und mit einem Trauerflor geschmückt; allem Anschein nach der Verunglückte.
    Nach fünf Minuten kam Frau Wieczorek wieder, mit einem etwa achtjährigen Jungen an der Hand, der mich trotzig anschaute.
    »Er kann Deutsch«, sagte sie.
    Die abgezehrte Frau war, wie sich nun herausstellte, gar nicht die Ehefrau des Verunglückten, sondern dessen Mutter. Der Junge war ihr Enkel. Er hieß wie sein Vater Jan, bestand aber darauf, mit Jonni angesprochen zu werden. Nachdem das geklärt war, kam ich mit ihm zügig voran.
    Die Familie war vor rund einem Jahr aus Polen gekommen. Die Anstellung bei der Firma PSB hatte Jan Wieczorek ein befreundeter Aussiedler vermittelt. Obwohl die Bezahlung nicht schlecht war, hatte Jan Wieczorek versucht, eine andere Arbeit zu finden.
    »Warum?« wollte ich wissen.
    Ihr Sohn sei derartige Arbeit nicht gewohnt gewesen, ließ die Frau ihren Enkel übersetzen.
    »Moment mal!« wandte ich mich direkt an Jonni. »Hat dein Vater denn nicht vorher schon, ich meine in Polen, auf Baustellen gearbeitet, als Maurer oder Eisenflechter oder ähnliches?«
    Jonni schob die Unterlippe vor, schüttelte den Kopf. »Bei unserem alten Zuhause hat mein Papa auf einem Bauernhof gearbeitet.«
    »Keine Bauern hier«, sagte die Frau, die offenbar recht gut Deutsch verstand, es nur nicht sprechen konnte. Sie murmelte etwas auf polnisch.
    »Meine Oma hat Angst, daß wir nun weg müssen, weil mein Vater tot ist.«
    Ich beruhigte die Frau, so gut ich konnte, und kam nochmals auf meine Frage zurück, ob sie mit ihrem Sohn im Krankenhaus gesprochen habe. Sie bewegte fast lautlos die Lippen, rieb sich mit dem Handrücken die Augenwinkel und zeigte mit dem Finger zur Zimmerdecke.
    »Meine Oma sagt, daß mein Papa vom Himmel gesprochen hat.«
    Ich überlegte, ob es sich um einen Übersetzungsfehler handelte, wollte aber nicht nachhaken. Das Gespräch war schon traurig genug.
    »Deine Mutter, Jonni, wo ist sie?«
    »Kabelwerk, Mittagsschicht.«
    Frau Wieczorek stellte Teller auf den Tisch. »Bitte bleiben.« Sie führte, um ihre Bitte zu verdeutlichen, einen Löffel zum Mund.
    Ich lehnte die Einladung ab und sagte, daß ich später gern noch einmal vorbeikommen würde, wenn ihre Schwiegertochter zu Hause sei. Sie nickte.
    Jonni, der während unserer Unterhaltung mit der Spitze seiner Sandalen auf dem gebohnerten Bodenbelag Kreise gemalt hatte, blickte hoch. »Bringen Sie mir dann Turnschuhe mit?« fragte er leise und hastig, damit seine Großmutter es nicht mitbekam.
    »Eine gute Marke, Größe 36«, rief er mir nach.
    »Abgemacht!« rief ich zurück.

7.
     
     
     
    Ich richtete es so ein, daß ich zur Mittagszeit an der Baustelle eintraf. Die PSB hatte mehrere, aber gerade diese wollte ich mir näher ansehen. Das Haus war rundum mit Planen verpackt. Eine Hügellandschaft zierte die Folien, und ein Schriftzug machte Milchwerbung mit dem Hinweis auf ein sogenanntes Kuh-Hotel. Das klang freundlich und war sehr verlogen. Aber normale Bauernhöfe gab es hier nun mal nicht mehr, das hatte Frau Wieczorek schon festgestellt. Für die Firmenaufschrift war auf der flaschengrünen Plastikplane auch noch Platz: PSB – staubfreie Altbausanierung und Gerüstbau.
    Ob staubfrei oder nicht, die Mieter hatten nun bestimmt andere Sorgen.
    Die Familie Wieczorek auch. Hier also war der Unfall passiert. Und zwar zur selben Zeit, als ich ganz in der Nähe zu tun gehabt hatte. Kein richtiger Auftrag – auf Wunsch eines Bekannten, dem ich einen
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