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Der Hundeknochen

Der Hundeknochen

Titel: Der Hundeknochen
Autoren: Niklaus Schmid
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er wäre nicht nur ein paar Jahre älter, sondern gehörte einer anderen Generation an.
    Er drückte seinen Daumen auf die Pfeifenglut, paffte, sprach weiter: »Wie es bei uns zugeht, dafür ein Beispiel aus der letzten Zeit und zum Thema: ›Die Bevölkerung wird um Mitarbeit gebeten, jede Polizeidienststelle nimmt Hinweise entgegen…‹ und so weiter. Na ja, kennst du ja noch.«
    Ich nickte.
    »Vor kurzem, als diese junge Frau entführt worden ist, erhielten wir knapp tausend Hinweise, wo das Opfer versteckt und gefoltert wurde. Tausend! Tagsüber nimmst du das noch in Kauf, ist ja dein Beruf. Aber mit ein bißchen Dusel kommt der brandheiße Tip während deiner Bereitschaft, irgendwann zwischen Mitternacht und Morgengrauen. Genau so ist es mir ergangen.«
    »Und?«
    »Was heißt ›und‹? Rein ins Auto, hin zu der Adresse. Eine Frau im Morgenrock empfängt uns, weist auf eine Tür in der Kellerwohnung. Aus dem Raum kommen erstickte Schreie. ›Polizei, aufmachen!‹ Keine Reaktion. Gefahr im Verzug. Also: Dienstwaffe raus, stürmen. Rumms, die Tür splittert, fliegt um Haaresbreite einem Opa ins Kreuz, der mitten im Raum in einem Sessel sitzt und sich seelenruhig einen Horrorstreifen reinzieht. Der Alte ist taub wie ein Sack Kohlen und wird uns erst gewahr, als wir ihm den Blick aufs Fernsehbild verstellen.«
    Das Erzählen hatte Kurt richtig in Fahrt gebracht; er machte viel Dampf mit seiner Pfeife, goß Kognak nach.
    »Du hast recht«, begann er wieder, »der Einsatz bei dem Opa war nicht ohne Komik. Andere Aktionen hingegen verlaufen alles andere als lustig. Meist handelt es sich um Hetze, Neid, Verleumdung, oft stimmt nicht einmal die angegebene Adresse. In einem Fall saß der Anrufer frech im Haus gegenüber und beobachtete unseren Einsatz mit einem Opernglas. Einer unserer Jungs ertappte ihn dabei, wie er sich über die angeführten Bullen ins Fäustchen lachte. Tja, unglücklicherweise ist der Witzbold bei der anschließenden Vernehmung dann die Treppe runtergefallen.«
    »Wie das schon mal passiert«, warf ich ein.
    »Ja, ja, aber der Mann besprach sich mit seinem Rechtsanwalt, und der Vorfall ging zum Polizeirat; der verlangte eine schriftliche Erklärung von mir als Einsatzleiter. Nun, Ärger dieser Art kennst du selber – wie war das doch noch mal vor deinem Ausstieg?«
    Ich wußte, worauf er anspielte, ging aber nicht darauf ein, statt dessen sagte ich mit gespieltem Bedauern: »Armer Kurt, mach’s doch wie ich, steig aus. Bei mir hocken tagein, tagaus Blondinen vor der Bürotür, mit schmachtenden Augen, hochgeschlitzten Kleidern und mit den verrücktesten Angeboten.«
    In diesem Dreh flachste ich noch ein bißchen herum, das gehörte zu unserem Ritual. Wir grinsten uns an, Kurt stand auf.
    »Ich muß meinen Sohn auf die Uhrzeit aufmerksam machen, sonst hängt er noch um Mitternacht vor dem Monitor.«
    »Vielleicht ist es ihm gerade gelungen, in den Zentralcomputer beim BKA einzudringen.«
    Kurt machte ein Gesicht, als ob das nicht auszuschließen wäre. »Du hast gut lachen, Elmar«, sagte er. »Du hast keine Kinder, die dir Sorgen machen, du hast keine Vorgesetzten, die dich unter Druck setzen, keine Untergebenen, die meutern, keine Ehefrau, die… na ja, auch ihre Mucken hat. Bist ein freier Mann.«
    Ich hörte mir noch ein Weile an, wie gut es mir doch ginge, dann verabschiedete ich mich. Wie immer hatte ich das Gefühl, eine halbe Stunde zu lang geblieben zu sein.

5.
     
     
     
    Den ganzen Morgen wartete ich auf einen Auftrag, eine schöne, leichte, fest umrissene Aufgabe, die eine Menge Spaß und eine Menge Geld bringen würde. Der Auftrag kam natürlich nicht, und weil ich sonst nichts zu tun hatte, kramte ich in meinem Archiv, das aus zwei Metallkoffern bestand.
    Eigentlich suchte ich nichts Bestimmtes. Aber mit der Zeit konnte ich es vor mir selbst nicht mehr verbergen, daß mir Kurts Bemerkung im Hinterkopf herumspukte: Wenn es tatsächlich wie ein Unfall aussieht, hatte er gesagt, dann sei es eine Sache der Versicherung. Es war also kein Zufall, daß mir aus dem Wust von Aufzeichnungen, Quittungen und Zeitungsausrissen ein Geschäftsbrief der Prosegura Assekuranz entgegensprang.
    Die Durchwahl stand im Briefkopf. Der Sachbearbeiter am richtigen Schreibtisch hieß Wegener. Ich hatte ihn mal auf einen Versicherungsbetrüger gestoßen; und mit dem Wissen, das er als sein eigenes ausgab, war er gleich eine Gehaltsstufe höher gerutscht.
    Ich erwischte Wegener an seinem Arbeitsplatz, als
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