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Der Hundeknochen

Der Hundeknochen

Titel: Der Hundeknochen
Autoren: Niklaus Schmid
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er gerade von der Mittagspause zurückkam. Eine gute Zeit, der Magen ist gefüllt, der Feierabend nicht mehr fern.
    »Wie heißt die Firma?« fragte er etwas schläfrig, wahrscheinlich hatte er sich auf einen kleinen Büroschlaf eingerichtet.
    »PSB«, sagte ich. »P steht für Pollex und S für Salm, das sind die Gesellschafter.«
    »Ja, und?«
    »War da mal was in der letzten Zeit?«
    Ich hörte mir Wegeners Klagen an. Er tat, als müßte er jetzt in einen Keller gehen und dort verstaubte Karteien durchforsten. Dabei genügten doch ein paar Klicks mit der Computermaus, um ihm die Informationen auf den Bildschirm zu zaubern.
    »Ich rufe zurück«, sagte er mit schwerer Stimme und hängte ein. Ich wußte, daß er sich nun erst einmal über bereits erledigte Policen beugen und dabei sein Essen verdauen würde.
    Unterdessen betrachtete ich das Klassenfoto, das Fitti Salm mir samt seiner privaten Anschrift zugeschickt hatte. Es war eine dieser traditionellen Aufnahmen, wo eine Reihe der Schüler steht, eine Reihe kniet und eine dritte Gruppe wie Gartenzwerge lang davor liegt; die Klassenlehrer flankierten die Seiten. In jeder Schule wurden solche Aufnahmen gemacht, damals jedenfalls.
    Dieses Bürschchen mit dem frechen Grinsen und der dunklen Haarsträhne im Gesicht war also ich. Fitti Salm hätte ich ohne das Filzstiftkreuzchen über seinem Kopf gar nicht erkannt. Ich hätte auf einen anderen Jungen mit aschblonden Haaren getippt.
    Ich legte Salms Blankoscheck neben das Foto und überlegte, welche Summe ich dort in das stark umrandete Feld eintragen könnte, maximal. Meine finanzielle Lage war nicht gut, und man darf ja wohl mal mit solchen Gedanken spielen.
    Das Telefon unterbrach meine Überlegungen. Wegener war am Apparat.
    »Schön, daß Sie sich so schnell melden«, lobte ich ihn. »Was gefunden?«
    »Hm, ja«, sagte er in seiner zögernden Art, und nach einer Pause, die den Wert seiner Nachricht erhöhen sollte, fuhr er fort: »Ein Betriebsangehöriger der PSB ist vor einiger Zeit verunglückt, tödlich.«
    Es durchzuckte mich. Betont nebenbei fragte ich: »Zufällig den Namen parat?«
    »Jan Wieczorek hieß der Mann, mit cz in der Mitte und k am Ende; entweder alter Ruhrpottadel oder neuer Aussiedler aus dem Osten.«
    Wegener erzählte mir, was passiert war: Ein Arbeiter sei aus dem fünften Stock eines Hauses gestürzt und nach seiner Einlieferung ins Wedauer Unfallkrankenhaus gestorben. Meine Zwischenfragen beantwortete Wegener im Telegrammstil: »Vor einer Woche, Ursache unbekannt, wahrscheinlich Fahrlässigkeit, Fremdverschulden so gut wie ausgeschlossen, also Unfall, und damit sind wir am Zug.«
    »Womit? Wieviel? Wohin?«
    »Hunderttausend, an die Firmenkasse.«
    Ich zog die Luft durch die Zähne. »Ist das nicht ungewöhnlich?«
    »Überhaupt nicht. Die Firma hat durch den Unfall Ausfälle, die muß einen neuen Facharbeiter suchen, ihn einarbeiten. Die Versicherungssumme soll diese Kosten auffangen. Aber, sagen Sie mal, meinen Sie, daß da was faul ist?«
    »Wieso?«
    »Nix wieso, wieso! Sie fragen mir Löcher in den Bauch, wollen aber nicht sagen, worum es geht. Was ich wissen möchte, ist, ob jemand, der etwas mit der Firma PSB zu tun hat, Ihr Klient ist?«
    »Nein, ich wollte nur…«
    Am anderen Ende der Leitung wurde eine Tür geöffnet, eine weibliche Stimme murmelte etwas, was ich als Anlaß nahm, mich rasch zu bedanken und aufzulegen.

6.
     
     
     
    Es war nicht schwer gewesen, die Adresse des Verunglückten herauszufinden. Ein Anruf beim Unfallkrankenhaus hatte genügt.
    Ich fuhr in den Duisburger Norden. Die Familie Wieczorek wohnte dort in einem Viertel, in dem früher hauptsächlich deutsche und türkische Hüttenarbeiter gelebt hatten und in das dann, nach der Schließung des Stahlwerks, viele Spätaussiedler gezogen waren. Mittelpunkt des Viertels war ein Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg, der allen Sprengungsversuchen getrotzt hatte. Mit städtischer Genehmigung hatten dort ein Jahr lang Rockgruppen geübt. Aber auch die schafften den Betonklotz nicht. Hinterher zog ein Champignonzüchter ein; und der letzte Verwendungszweck waren jetzt die Notunterkünfte für Menschen aus dem Osten, die mit dem Glauben an den goldenen Westen gekommen waren; ein Glaube, der bei den meisten nach den ersten Wochen ins Wanken geriet.
    Ein Geruch nach Paprikaschoten, Linoleum und feuchten Wänden füllte den Raum. Frau Wieczorek war mager, ihr Blick ängstlich, die Sorgenfalten um ihren Mund vertieften sich
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