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Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Titel: Der Hühnerführer: Roman (German Edition)
Autoren: Hans Weitmayr
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meiner selbst. Andererseits: Dafür, die Deutschen im Finale verlieren zu sehen, hätte ich auch zwei Küsse verschenkt.   
    Angst und bang wurde mir jedoch, als ich folgende Nachrichten im Radio hörte: Der Vietkong hat den zweitausendsten US-amerikanischen Flieger abgeschossen. Und: Die Russen haben den ersten Weltraumspaziergang erfolgreich absolviert.  
    Waren wir, wie die Deutschen bei der WM, dabei zu verlieren?

1967
     
     
    Fünf Jahre später – das unzufriedene Grummeln in meinem Bauch war in der Zwischenzeit eher stärker als schwächer geworden – stand Herr Dvorschak abermals vor mir. Diesmal erkannte ich ihn sofort.  
    “ Herr Dvorschak, wie schön. Es ist jetzt aber auch eine Weile her.” 
    “ Herr Alexander, das stimmt. Aber mehr verkaufen kann ich beim besten Willen nicht.” Herr Dvorschak deutete meinen Gesichtsausdruck richtig. “Habe ich Ihnen das nicht erzählt?” 
    “ Was auch immer es ist: Nein, Sie haben es mir tatsächlich nicht erzählt.” 
    “ Wir hatten das letzte Mal ja auch nur Ihre Mittagspause zum Plaudern. Warum treffen wir uns heute nicht zu Abend im Wienerwald?” Er räusperte sich verlegen. “Entschuldigen Sie, ich wollte Sie natürlich nicht inkommodieren, vermutlich haben Sie gar keine Zeit und überhaupt ist es Ihnen wahrscheinlich unangenehm, wenn ein Gast ihre Freizeit mit Beschlag ...” 
    “ Bitte, bitte,”, unterbrach ich Herrn Dvorschak, “machen Sie sich keine Sorgen ich habe in der Tat ungeheuren Gusto auf Huhn und würde mich freuen, ihn mit Ihnen im Wienerwald  zu befriedigen – vorausgesetzt natürlich, er ist bis auf zwei Plätze ausreserviert.” 
     
     
    ***
     
     
    “Liverpool”, sagte Herr Dvorschak, während er sich sorgsam die Finger mit einem, vom Wienerwald beigelegten Erfrischungstuch abzuwischen versuchte. Innerhalb kürzester Zeit war das Tüchlein ob des aufgesogenen Bratenfetts braun und zerknüllt, die Finger glänzten nach wie vor ölig.
    Seufzend nahm Herr Dvorschak eine Papierserviette zu Hilfe, von der sich alsbald einzelne Fetzen lösten, die wiederum an Herrn Dvorschaks fettigen Fingerkuppen hängen blieben.   
    “ Wenn diese Kette jemals pleite geht, dann, weil es die Leute leid sind, sich mit diesen Notbehelfen die Hände zu säubern,” schimpfte Dvorschak. Ich unterließ es, ihn auf das Vorhandensein von Waschbecken in den Lokaltoiletten hinzuweisen, stattdessen nahm ich seinen eben erst unterbrochenen Gedanken wieder auf: “'Liverpool': Sie sagten eben 'Liverpool'.” 
    “ Richtig.” Herr Dvorschak warf die zerfledderte und zerknüllte Serviette auf den Teller. “Liverpool! Waren Sie schon einmal dort?” 
    “ Nein, die Inseln interessieren mich nicht so sehr ...” 
    “ Wie bitte? Herr Alexander, Sie enttäuschen mich! Warhol, Beatles, Stones! Die gesamte Gegenwart unserer Kultur spielt sich auf den Inseln ab!” 
    “ Brahms, Beethoven, Haydn. Die gesamte wunderbare Vergangenheit unserer Kultur ist auf dem Kontinent zu Hause.” 
    “ Händel?”. 
    “ Blüte in London. Geschenkt. Aber geboren auf dem Kontinent! Und außerdem ...” 
    “ Ja?” 
    “ Ganz scheußliches Huhn in England.” 
     
     
    ***
     
     
    Als ich am nächsten Morgen aufwachte, ließ mich der stechende Schmerz, der sich pulsierend in Innenraum meines Schädels breit gemacht hatte, sofort wieder die Augen schließen. Ich unterdrückte den Drang, mich zu übergeben und verfluchte einmal mehr in meinem Leben das eine zu viel getrunkene Glas Wein. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es kurz nach neun war. An jenem Tag hatte ich Nachtdienst, musste also erst um 22 Uhr im Hotel sein. Bevor ich mich wundern konnte, wieso ich trotzdem aufgewacht war (der Wecker war definitiv ausgeschaltet), drohte das Läuten der Türglocke in meinem vorderen linken Hirnlappen eine Blutung gröberen Ausmaßes freizusetzen. Angesichts der Ungeduld, die hinter dem Begehr eingelassen zu werden, stand (drei langgezogenen, durch kurze zeitliche Abstände getrennte Stöße), wurde mir klar, dass dies nicht das erste Klingeln gewesen war. Das Geheimnis meines Erwachens war also geklärt, die Herausforderung, zur Tür zu gehen, gerade erst gestellt. Kurz überlegte ich, mich tot zu stellen, das abermalige, wütende, vierfache Läuten ließ mich diesen Vorsatz aber schnell aufgeben. 
    “ Ja, ja, ich komme schon”, rief ich, so laut es ging, was mir einen neuerlichen Stich durch den Schädel jagte. 
    “ Post!” 
    “ Post?” 
    “ Pooohost.
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