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Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Titel: Der Hühnerführer: Roman (German Edition)
Autoren: Hans Weitmayr
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Schicksal schien mich an jenem Tag abermals zu ereilen. Vergeblich hatte ich auf der Suche nach einem freien Tisch sämtliche Haupt- und Nebenräumlichkeiten des Restaurants durchschritten, bis hinter mir plötzlich jemand rief: “Herr Alexander, Herr Alexander!” 
    Ich drehte mich um und verfluchte in der selben Sekunde meine Unbedachtheit. Beim Rufer hatte es sich um Herrn Dvorschak gehandelt.   
    Dazu muss man wissen, die erste und eisernste Regel im Tourismus lautet: Vermeide Gästekontakt in Deinem Privatleben, es sei denn es handelt sich um gut aussehende Vertreter des anderen Geschlechts – was in dieser Situation eher nicht der Fall war.   
    Trotzdem rang ich mir ein Lächeln ab. Immerhin erwartete ich von Herrn Dvorschak noch eine zweite Trinkgeldtranche über 100 Schilling. Die galt es, nicht leichtfertig auf's Spiel zu setzen.  
    “ Herr Dvorschak. Guten Tag. Was für eine Überraschung.” 
    “ Ja, nicht?” Er nickte eifrig und deutete auf den freien Platz ihm gegenüber. “Kommen Sie, setzen Sie sich. Sie werden keinen freien Tisch mehr finden.” 
    Geistig hakte ich meine Mittagspause ab. Denn Zweck einer solchen war es nicht nur, sich die notwendigen Kalorien und Ballaststoffe für den weiteren Tagesverlauf einzuverleiben, sondern auch, ein wenig Abstand vom Hotel und seinen Gästen zu gewinnen. Wenig ist anstrengender, als den ganzen Tag über höflich und charmant, dabei gleichzeitig distanziert und souverän zu wirken. Was in der nächsten halben Stunde auf mich zukam war also nichts weiter, als die Fortsetzung meiner Arbeit in der Lobby, nur dass uns jetzt kein Schalter trennte.   
    Obwohl ich mich an dieser Stelle eigentlich schon ins Unvermeidliche gefügt hatte, unternahm ich einen letzten Versuch, der Situation zu entrinnen: “Das ist sehr freundlich von Ihnen, ich möchte Sie aber auf keinen Falls stören, oder gar aufdringlich sein ...”  
    “ Ach was, papperlapapp”, unterbrach mich Herr Dvorschak. “Verplempern Sie keine Zeit und setzen Sie sich endlich hin, Ihre Mittagspause dauert ja schließlich auch nicht ewig.” 
    Damit gab es nichts weiter zu tun, als sich höflich zu bedanken und Platz zu nehmen. Es war für mich tatsächlich eine vertrackte Situation. Der Genuss von Alkohol – und ein kühles Bier wäre jetzt genau das Richtige gewesen – stand außer Diskussion. Dass ein Gast seinen Concierge unter tags beim Konsum von bewusstseinsverändernden Getränken beobachtete: Undenkbar und, falls der Vorfall an die Ohren des Herrn Direktor gelangte, in jedem Fall ein Kündigungsgrund. Auch das halbe Brathuhn, mit dem ich mich an diesem Tag hatte verwöhnen wollen, stellte keine Option mehr dar. Mit vor Fett triefenden Fingern und Mundwinkeln vor einem Gast zu sitzen – alleine der Gedanke ließ mich schaudern. Trockene Brust also, eingehüllt in panierte Semmelbrösel, dazu Pommes Frites und Grüner Salat. Es hätte mich im Leben zugegebenerweise härter treffen können, aber an die Kinder der Subsahara dachte ich in jener Zeit eher selten.  
    “ Wunderbar, wunderbar”, murmelte Herr Dvorschak als er seine Speisekarte mit seligem Lächeln studierte, offensichtlich ohne meiner Befangenheit auch nur im geringsten gewahr zu werden. Er blickte von seiner Karte auf. “Ich liebe Huhn, Sie nicht auch?” 
    Ich nickte höflich. “Huhn gehört in der Tat zu meinen Leibspeisen.”  
    “ Wirklich? Was für ein Zufall! Für mich ist Hühnerfleisch, so es richtig zubereitet wird, das wunderbarste Gericht der Welt!” 
    “ Also, so weit würde ich nicht gehen, aber, bedingt kann ich mich Ihnen durchaus anschließen.” 
    “ Nicht wahr?” Herr Dvorschak, das konnte ich erkennen, begann sich für das Thema zu erwärmen. “Auch von seiner Gewinnung her. Nichts ist leichter in großen Mengen zu züchten. Und dann seine Beschaffenheit: Leicht, aber dennoch sättigend. Nicht so wie dieses vor Flachsen strotzende Schweinefleisch. Günstig ist es auch. Viel günstiger als Rind, das vielleicht von seiner Textur her ähnlich wohlschmeckend ist, aber der Preis, der Preis ...” An dieser Stelle schüttelte Herr Dvorschak traurig den Kopf und betrachtete seine Hände. Ich tat es ihm gleich. Mir fielen seine abgekauten Nägel und die ebenso übel zugerichteten Kuppen auf. Herr Dvorschak schien meinen Blick zu spüren, hastig verbarg er seine Finger unter der Tischplatte. Ich hatte den Eindruck, er hätte sie am liebsten unter seinem Gesäß versteckt, wie ein Schuljunge, dem
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