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Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Titel: Der Hühnerführer: Roman (German Edition)
Autoren: Hans Weitmayr
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erstes halbes Jahr im Hotel hinter mir und schön langsam bekam ich ein Gefühl dafür, was ging und was nicht. Und mit jedem Tag wurde mir klarer: Es ging mehr, als nicht. Zumindest finanziell gesehen. Nicht, dass das Gehalt, das ich als Concierge jemals bezog, besonders üppig gewesen wäre.
    Aber, Gott, waren die Nebengeschäfte süß.  
    Wir, die Portiers, handelten mit allem, was sich abreißen ließ und teuer war. Also mit Theater-, Opern und Sightseeing-Tickets.   
    Es war das beste aller Geschäfte: Aufschläge von 800 Prozent oder mehr wurden verlangt und – viel wichtiger – bezahlt, was wiederum alle Beteiligten gut leben ließ: Die Damen und Herren an der Theaterkasse, die je nach Bedarf ein oder zwei Eintrittskarten für einen Abend mit der Callas zur Seite legten, die Schlangensteher, die stundenlang vor den Kassen der Bundestheater ausharrten und untereinander die Zeit mit Diskussionen darüber tot schlugen, wer denn nun der größte Sänger aller Zeiten und Epochen gewesen wäre, und ob jemals etwas Besseres nachkommen könnte (die Antwort auf diese   Frage war immer, egal in welchem Jahrzehnt oder Jahrhundert gestellt: “Nein”. Die besten waren und sind natürlich immer schon tot, das aber seit kurzem, meist zehn oder fünfzehn Jahre, so dass derjenige, der dem Sänger in absoluter Anbetung zugetan war, natürlich von der einen legendären, unübertrefflichen Vorstellung zu erzählen wusste, der beizuwohnen er das Privileg gehabt hatte).  
    Und dann waren da noch die Zwischenhändler, die tatsächlich Namen wie “Herr Edi” trugen. Das mit Stolz und oft nicht zu Unrecht. Besagter Herr Edi war beispielsweise beides: ein Herr und ein richtiger Edi.   
    Dazu hatten wir einen lupenreinen Herrn Direktor. Keinen Geschäftsführer, CEO, Exekutivdirektor, Aufsichtsratsvorsitzenden, Chef, Boss oder Generalanwalt. Nein, über uns herrschte jemand, in dessen Titel mehr mitschwang als nur die schnöde Bezeichnung eines Management-Status. Die Wortkombination aus „Herr“ und „Direktor“ galt als Ehrentitel, Berufsbezeichnung, Vor- und Nachname. Auch wenn das Personal untereinander sprach, wäre niemandem je eingefallen, diesen Mann anders als “Herrn Direktor” zu bezeichnen. Nicht einmal ein “der Direktor” war zugelassen. So lautete das unausgesprochene Gesetz, das jeder einzelne von uns befolgte: Vom Lohndiener über den Chefportier   bis hin zum Hotelanwalt. 
    Der Herr Direktor jedenfalls pflegte jeden Tag pünktlich um 10 Uhr Vormittag das Hotel über die Lobby zu betreten, wo ihn ein zweireihiges Spalier, bestehend aus dem vollständigen Tagespersonalstand, erwartete. Hatte er die schwere Drehtür durchschritten, wurde er mit einem einstimmigen “Guten Morgen, Herr Direktor”, begrüßt, was dieser mit einem wohlwollenden Nicken erwiderte. Dann pflegte er die Reihen abzugehen, wobei er bei seinen Protegés, die in den ersten Reihen zu stehen hatten, kurz innehielt um ein paar freundliche Wort zu wechseln. Ich selbst stand damals noch in der zweiten Reihe. Für die erste war ich nicht lange genug dabei. Doch der Herr Direktor nickte mir damals bereits regelmäßig ermutigend zu, was für mich bedeutete, dass ich wohl bald dazu aufgefordert würde, ganz nach vorne zu rücken.  
    In einer solchen Umgebung arbeitete ich also mit meinen 25 Jahren. Glanz und Glorie, Eleganz und Reichtum umgaben mich und schenkten mir das trügerische Gefühl, ein gleichberechtigtes Mitglied dieser schimmernden Welt zu sein, selbst vielleicht nicht unbedingt reich, aber doch etwas Besseres als all die anderen, die, wie ich, zweitausend Schilling im Monat aus ihren Lohnsäckchen fischten. Ich glaubte allen Ernstes, nicht zur großen Masse zu gehören, die emsig am Wirtschaftswunder bastelte, sich nach ihrem Schrebergarten sehnte und Schlager hörte, die vom Meer bei Capri handelten, in der vagen Hoffnung, es vielleicht einmal bis Lignano oder Caorle zu schaffen.   
    Nein, ich wähnte mich selbst privilegiert, da ich neun Stunden meines Tages von Samt und Brokat umgeben war und meine Mittagspausen auf der Kärntnerstraße oder dem Graben verbrachte. Dazu muss man wissen: Beschloss damals ein Wiener, der in den Außenbezirken der Stadt wohnte, die den ersten Bezirk umfassende Ringstraße zu überqueren, so hatte er zuvor auf jeden Fall sichergestellt, dass er seinen guten Anzug, die schöne Krawatte und den neuen Hut trug.   
    Die Innenstadt war damals ein gewaltiger Ballsaal. Ich durfte hier jeden
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