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Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Titel: Der Hühnerführer: Roman (German Edition)
Autoren: Hans Weitmayr
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näherte mich dem Portier. Dieser saß, eine kleinformatige Tageszeitung studierend, hinter einer Glaswand und machte keinerlei Anstalten, meine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen. Als auch ein höfliches Räuspern meinerseits ignoriert wurde, klopfte ich einmal kurz an das Plexiglas, nur um, erschrocken von der Lautstärke des Geräusches, das von den nackten hohen Marmorwänden mehrfach zurückgeworfen wurde, einen kleinen Schritt zurückzuspringen. Verärgert senkte der Portier die Zeitung. Er beugte sich leicht vor und sprach in das neben ihm stehende Mikrofon: “Was ist.”
    Keine Frage, mehr ein Vorwurf.
    “Mein Name …” 
    Er unterbrach mich mit einer ungeduldigen Handbewegung.  
    “ Treten Sie näher und sprechen Sie hier hinein.” Er zeigt auf eine kreisrunde Öffnung, die von einer Art Filtergewebe abgedeckt wurde. 
    “ Mein Name ...”, wiederholte ich, nachdem ich den Anweisungen des Portiers Folge geleistet hatte, “... ist Philip Alexander ...” 
    “ Haben Sie einen Termin?” 
    “ Ja, jetzt, mit ...” 
    “ Mit wem?” 
    “ Herrn Fleischer” 
    “ Fleischer? Kenne ich nicht.” 
    Der Portier lehnte sich in seinen Sessel zurück und schlug die Zeitung wieder hoch. Meine Verblüffung hielt ein paar Momente an. Dann klopfte ich wieder.  
    “ Was?” 
    “ Vielleicht haben Sie mich missverstanden ...” 
    “ Sie suchen Herrn  Fleischer.” 
    “ Richtig. Fleischer.” Ich nickte. 
    “ Den gibt es hier nicht. Sie sind auf dem falschen Amt. Wiedersehen.”  
    Zurücklehnen, wegdrehen, Zeitung hoch.  
    Für einen weiteren Versuch, oder die Frage, wo ich denn vielleicht einen Herrn  Fleischer finden könnte, oder ob vielleicht   ein Telefonverzeichnis aufliege, in dem ich selbst nach dem Namen suche konnte, kurz, um mich gegen diesen Kollegen aus der Hölle durchzusetzen, fehlte mir an jenem Nachmittag die Kraft. Ich war außerhalb meines Reviers und geschlagen. Ich befand mich nicht in der Innenstadt und schon gar nicht im “Hotel am Ring”, ich war im 22. Bezirk, im Finanzamt, würde mit eingekniffenem Schwanz nach Hause fahren, Herrn Fleischer anrufen … 
    Das Telefon in der Empfangsloge klingelte. Der Portier hob ab. “Ja?” Er blickte kurz hoch, nickte. “Ja? Ja. In Ordnung.” Dann legte er auf, schlug die Zeitung hoch und sagte, ohne dass ich es sehen konnte: “Zimmer 2.46, zweiter Stock   über die Treppe hinauf und dann links.” 
     
     
     
    ***
     
     
    Das Finanzamt war, wie jedes andere Gebäude, das auf irgendeine Art und Weise den Staat repräsentieren sollte, darauf ausgerichtet, den Besucher einzuschüchtern. Was in meinem Fall auch vortrefflich gelang. Die Gänge, die verschlossenen Türen, das Echo der blanken Böden, ließen das Gefühl aufkommen, man sei von allen und jedem auf dieser Welt verlassen und deshalb der Macht der Institution auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Als ich auf der Suche nach Zimmer 2.46 den zweiten Stock betrat, fiel mir auf, dass diese gefühlte Einsamkeit einen realen Hintergrund hatte - ich war tatsächlich alleine. Weit und breit kein Mensch, kein Parteienverkehr, keine Putzkolonne, nichts. Beunruhigt blickte ich auf das Informationsschild neben Tür 2.01: “Parteienverkehr: 8 – 12 Uhr”. Unentschlossen blieb ich stehen, sah zur Sicherheit noch einmal auf die Uhr. Halb drei. Ich schüttelte den Kopf. Das Ganze wurde allmählich absurd. Welcher Republiksbeamte blieb freiwillig auch nur eine Sekunde länger an seinem Schreibtisch sitzen, als es unbedingt nötig war? Es musste sich um ein Versehen handeln. Wahrscheinlich hatte ich in meiner Restalkoholisierung die Anweisungen des Finanzbeamten missverstanden. Natürlich wäre es leicht gewesen, zu Zimmer 2.46 zu gehen. Einfach den Gang entlang und dann anklopfen, aber irgendetwas tief in meinem Inneren hielt mich zurück. Ich würde diesen gottverlassenen Gang heute nicht hinunter marschieren. Ich würde morgen Vormittag wieder kommen – wenn ich mich in besserer Verfassung befand und Herr Fleischer   dann tatsächlich in seinem Büro saß.  
    Kaum hatte ich diesen Entschluss gefasst, hörte ich am Ende des Korridors ein zwar nicht lautes aber umso eindringlicheres, mühevolles Knarren, offenbar ausgelöst durch eine wie von Geisterhand aufgestoßene Tür.  
    “ Kommen Sie nur, Herr Alexander! Kommen Sie!” 
     
     
    ***
     
     
    Herrn Fleischers Halbglatze leuchtete mir entgegen, als er mit seinen wulstigen Fingern, den Kopf über einen Ordner gebeugt,
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