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Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Titel: Der Hühnerführer: Roman (German Edition)
Autoren: Hans Weitmayr
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Einschreiben!” 
    “ Ich komme”, keuchte ich. 
    Der Postbeamte verzog, als er meiner durch den geöffneten Türspalt ansichtig wurde, das Gesicht. Seine Gedanken konnte ich leicht   lesen: “Neun Uhr am Morgen, zu Hause, stinkt nach Alkohol, Unterwäsche, Bademantel, arbeitsloser Asozialer.”
    “ Ja?” 
    Er hielt mir ein Kuvert und eine Empfangsbestätigung entgegen.  
    “ Hier unterschreiben.” 
     
     
    ***
     
     
    Es war die schlimmste aller Briefformen. Das lag am Absender. Finanzamt für den 20., 21., und 22. Wiener Gemeindebezirk. 
    “ Scheiße”, murmelte ich, ließ das Kuvert ungeöffnet auf den Esstisch fallen, torkelte ins Bett zurück und war bewusstlos, bevor mein Schädel den Polster berührte. 
     
     
    ***
     
     
    “Alexander, guten Tag, ich habe ein Schreiben von Ihnen bekommen. Ich sollte mich bei Ihnen melden.” 
    Es war drei Stunden später. Meine Kopfschmerzen hatten mich einmal mehr aufgeweckt, an Schlaf war nicht zu denken. Ich war im Vorzimmer gestanden, der leise Luftzug, der unter der Eingangstür hereinzog und unter dem zerschlissenen Bademantel Richtung Schritt kroch, hatte mich frösteln lassen. Eigentlich hatte ich nach dem zweiten Läuten auflegen wollen. Ein Blick auf die Uhr hatte mir gezeigt, dass es kurz nach zwölf war. Mittagspause. Ich würde es später unter der selben Durchwahl noch einmal versuchen. Doch bevor ich den Hörer auf die Gabel legen konnte, hatte ich das charakteristische Knacken einer Verbindung gehört, worauf sich ein gewisser Kommerzialrat Fleischer meldete.  
    “ Bei mir anrufen? Ja, das sollten Sie in der Tat. Können Sie sich vorstellen, worum es geht?” 
    “ Wahrscheinlich nicht um eine Steuerrückzahlung”, versuchte ich zu scherzen. 
    Keine Reaktion, Stille am anderen Ende der Leitung.  
    Ich: “Hallo, sind Sie noch da?”  
    “ Herr Alexander?” 
    “ Ja?” 
    “ Glauben Sie, das ist lustig?” 
    Ein humorloser Steuerbeamter. Großartig. Trotzdem: Wenn man im Verlauf seines Lebens auch nur einen Merksatz mit der Muttermilch aufsaugt, dann lautet der wohl: “Leg' Dich nicht mit der Finanz an.”   
    “ Nein, tut mir leid, Herr Fleischer. Nicht lustig. Tut mir leid. Worum geht es denn?” 
    “ Um Ihre Steuerhinterziehung, selbstverständlich. Was sonst?” 
    “ Steuerhinterziehung? Wovon reden Sie?” 
    “ Haben Sie oder haben Sie nicht in den vergangen fünf Jahren Tickets der Vienna Tours an Gäste des Hotels “Am Ring” verkauft?” 
    “ Wie bitte?”  
    Mir wurde klar, dass ich einen Fehler begangen hatte, Mit geschätzten 1,8 Promille Restalkohol ruft man nicht beim Finanzamt an. Auch nicht, wenn man gerade eben zwei Aspirin geschluckt hatte. Für so ein Gespräch muss man auf einen vollkommen klaren Verstand zurückgreifen können. Davon war ich denkbar weit entfernt. Um Kraft für den weiteren Verlauf dieser Konversation zu sparen, ließ ich mich auf dem kalten Fußboden nieder.  
    “ Und außerdem möchte ich Sie darauf hinweisen, dass ich dieses Gespräch protokolliere und alles was Sie jetzt sagen, gegen Sie verwendet werden kann.” 
    “ Entschuldigung, aber ich verstehe nicht ...” 
    “ Sie schulden dem Finanzamt 61.373 Schilling und 47 Groschen an Umsatz- und Einkommenssteuer, Zinsen und Bußgelder eingerechnet.” 
    “ Das kann nicht … also ...”. Ein abscheuliches Schwindelgefühl überkam mich. Ich musste mich auf den eisigen Vorzimmerboden setzen. “ … unmöglich, 61.000 Schilling, wie ...” 
    “ 61.373 Schilling, 47 Groschen und wahrscheinlich zwei Jahre Haft unbedingt.” 
    Nur der brutale Adrenalinstoß, der nach diesem Satz durch meinen Körper jagte, verhinderte, dass ich im Sitzen umfiel.  
     
     
    ***
     
     
    Zwei  Stunden, eine Dusche, drei doppelte Espressi, vier Aspirin und 17 Zigaretten später stand ich vor dem Finanzamt für den 20., 21., und 22. Wiener Gemeindebezirk. Einmal zog ich noch tief an ihr, dann warf ich Zigarette Nummer 18 in den Rinnstein. Ich schlug den Mantelkragen hoch, der nach wie vor vorhandene Restalkohol und die kühle Feuchtigkeit des November-Morgens ließen mich frösteln. Trotzdem zog ich die Schultern straff, überquerte die Straße und glaubte plötzlich zu wissen, wie sich Herr Dvorschak, damals vor acht Jahren gefühlt hatte, als er zum ersten Mal die Lobby des Hotels betreten hatte. Nervös prüfte ich den Sitz meiner Frisur, wischte die feuchten Handflächen am Außensaum meiner Hose ab, betrat das Gebäude und
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