Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hof (German Edition)

Der Hof (German Edition)

Titel: Der Hof (German Edition)
Autoren: Simon Beckett
Vom Netzwerk:
sie; ich bin ihr schon einmal begegnet. Sie war die Frau mit dem Baby im Bauernhaus. Was die Frage klärt, wo ich bin. Wenn auch nicht, warum. Sie zögert, als sie mich sieht.
    «Sie sind wach», sagt sie.
    Es dauert einen Moment, ehe ich merke, dass sie mich auf Englisch angesprochen hat. Sie hat einen harten Akzent und klingt zögerlich, doch sie spricht fließend. Ich spüre grobe, unbehauene Steine an meinem Rücken, ehe ich erkenne, dass ich unwillkürlich zurückgewichen bin. Mit einer Hand umklammere ich das verschwitzte Laken. Ich zwinge mich loszulassen. Sie bleibt in einiger Entfernung vor dem Bett stehen, das im Grunde nur eine Matratze auf den Dielenbrettern ist.
    «Wie fühlen Sie sich?» Ihre Stimme ist leise und ruhig. Sie trägt ein ärmelloses Oberteil und eine abgewetzte Jeans. An ihr ist nichts Bedrohliches, aber mein Verstand ist schwerfällig wie ein altersschwacher Computer. Mein Hals schmerzt, als ich versuche zu sprechen. Ich schlucke und versuche es erneut.
    «Mein Fuß …»
    «Der war übel zugerichtet. Aber keine Sorge, das kommt wieder in Ordnung.»
    Keine Sorge?
Ich schaue mich um. «Wo bin ich?»
    Sie antwortet nicht sofort. Hat sie die Frage nicht verstanden, oder muss sie sich die richtige Antwort zurechtlegen? Ich wiederhole die Frage auf Französisch.
    «Sie sind auf dem Hof. Wo Sie nach Wasser gefragt haben.» Ihre Stimme ist in ihrer Muttersprache fließender, aber noch immer ist etwas Zögerliches an ihr. Als müsse sie jedes Wort genau abwägen, ehe sie es ausspricht.
    «Ist das … Es sieht wie eine Scheune aus?»
    «Im Haus ist leider kein Platz.» Ihre grauen Augen sind ganz ruhig. «Meine Schwester hat Sie im Wald gefunden. Sie hat mich geholt, und wir haben Sie hergebracht.»
    Ich erinnere mich vage an das Gesicht eines Mädchens. Nichts von alledem ergibt irgendeinen Sinn. Mein Verstand ist noch immer ganz benommen, weshalb ich nicht genau weiß, was von meinen Erinnerungen wirklich ist und was nur dem Delirium zuzuschreiben.
    «Wie lange bin ich schon hier?»
    «Wir haben Sie vor drei Tagen gefunden.»
    Drei
Tage
? Dunkel kann ich mich an Schmerzen und Schweiß, an kühle Hände und beruhigende Worte erinnern. Aber das können auch Fieberträume gewesen sein. Ich spüre den Schmerz langsam wieder erwachen. Misstrauisch beobachte ich, wie sie ein Papiertaschentuch aus der Tasche holt und daraus eine große, weiße Tablette wickelt.
    «Was ist das?»
    «Nur ein Antibiotikum. Die haben wir Ihnen verabreicht, während Sie bewusstlos waren. Sie hatten Fieber, und die Wunde hat sich infiziert.»
    Ich schaue auf die Wölbung, die mein Fuß unter der dünnen Decke formt. Meine anderen Ängste kommen mir plötzlich bedeutungslos vor.
    «Wie schlimm ist es?»
    Sie nimmt eine Flasche, die neben dem Bett steht, und gießt Wasser in ein Glas. «Es verheilt. Aber Sie werden eine Weile nicht laufen können.»
    Ich weiß nicht, ob sie mich belügt. «Was ist passiert? Da war eine Falle …»
    «Später. Sie müssen sich jetzt ausruhen. Hier.»
    Sie hält mir die Tablette und das Glas hin. Ich nehme beides und bin zu durcheinander, um einen klaren Gedanken zu fassen. Aber sie ist so ruhig und reserviert, das empfinde ich als wohltuend. Sie müsste um die dreißig sein, plus/minus ein, zwei Jahre. Sie ist dünn, doch Hüften und Brüste sind üppiger. Die dunklen Haare sind direkt über dem Nacken abgeschnitten. Gelegentlich schiebt sie sie auf einer Seite hinters Ohr. Eine Geste, die auf mich eher wie eine Angewohnheit wirkt und nicht wie Affektiertheit. Das Einzige, was an ihr wirklich außergewöhnlich ist, sind die Augen, die zwar müde und verschattet sind, aber von einem dunklen, rauchigen Grau.
    Ich spüre jetzt ihren Blick auf mir ruhen. Ernst und undurchdringlich beobachtet sie mich, während ich mit etwas Wasser die Tablette schlucke. Aus dem einen Schluck wird schnell das ganze Glas, das ich durstig herunterstürze.
    «Mehr?», fragt sie, als ich es absetze. Ich nicke und strecke ihr das Glas hin. «In der Flasche neben dem Bett ist frisches Wasser. Versuchen Sie, so viel wie möglich zu trinken. Und wenn der Schmerz zu schlimm wird, nehmen Sie ruhig zwei hiervon.»
    Sie hält ein Tablettenfläschchen hoch. Wie aufs Stichwort beginnt mein Fuß zu pochen. Der Schmerz ist nur ein Schatten seines früheren Selbst, aber es tut trotzdem weh. Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen, doch etwas an ihren ruhigen grauen Augen lässt mich wissen, dass ich sie nicht täuschen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher