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Der Hof (German Edition)

Der Hof (German Edition)

Titel: Der Hof (German Edition)
Autoren: Simon Beckett
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und lächelt lauernd, als sie sieht, dass ich wach bin. Ich lege hastig die Decke über meinen Unterleib. Sie senkt den Blick und verkneift sich ein Grinsen.
    «Ich habe Ihnen was zu essen gebracht.»
    Sie ist noch ein Teenager, knapp zwanzig, schätze ich. Sogar mit dem verwaschenen T-Shirt und der Jeans ist sie wunderschön. Sie trägt pinke Flipflops, und der Anblick ist für mich irgendwie unpassend und zugleich merkwürdig beruhigend.
    «Nur etwas Brot und Milch», sagt sie und stellt das Tablett neben der Matratze ab. «Mathilde sagt, Sie sollten lieber noch nicht so viel essen.»
    «Mathilde?»
    «Meine Schwester.»
    Die andere Frau, schließe ich daraus. Zwischen den beiden besteht keine allzu große Ähnlichkeit. Das Haar des Mädchens ist heller, fast blond, und reicht ihr bis an die Schultern. Ihre Augen sind eine hellere Ausgabe vom dunklen Grau ihrer Schwester, und ihre Nase hat einen leichten Höcker, wo sie einmal gebrochen war. Eine winzige Unvollkommenheit, die ihre Schönheit irgendwie komplettiert.
    Sie wirft mir weiterhin Seitenblicke zu und lächelt die ganze Zeit. Dabei bilden sich bezaubernde Grübchen in ihren Wangen.
    «Ich bin Gretchen», sagt sie. Kein französischer Name, aber sobald sie ihn ausgesprochen hat, finde ich, dass er gut zu ihr passt. «Ich bin froh, dass Sie wach sind. Sie waren tagelang krank.»
    Jetzt weiß ich, warum sie mir so bekannt vorkommt. Das madonnenhafte Gesicht, das ich während meines Deliriums gesehen habe, war gar keine Halluzination. «Du bist die, die mich gefunden hat?»
    «Ja.» Sie wirkt verlegen, aber auch zufrieden. «Eigentlich war das aber Lulu.»
    «Lulu?»
    «Unser Hund. Sie fing an zu bellen, und ich dachte erst, sie hätte ein Kaninchen gewittert. Auf den ersten Blick sahen Sie ziemlich tot aus. Sie haben sich gar nicht gerührt, und überall schwirrten Fliegen herum. Dann machten Sie ein Geräusch, und ich wusste, Sie leben noch.» Sie schüttelt sich. «Es war ziemlich widerlich, Sie mit dem Brecheisen aus der Falle zu befreien. Sie haben sich gewehrt und lauter komische Sachen gebrüllt.»
    Ich versuche, gleichgültig zu klingen. «Zum Beispiel?»
    «Ach, das war nur wirres Zeug.» Sie tritt heran und stellt sich neben das Schaukelpferd. «Sie haben im Fieberwahn geredet, und das meiste war ohnehin englisch, also hab ich es gar nicht verstanden. Aber Sie haben damit aufgehört, sobald wir Ihren Fuß aus dem Eisen hatten.»
    So, wie sie das erzählt, schien das alles nicht die Spur ungewöhnlich gewesen zu sein. «Wer ist
wir

    «Mathilde und ich.»
    «Nur ihr zwei? Ihr habt mich ganz allein hier raufgeschafft?»
    «Natürlich.» Sie zieht einen Flunsch. «Sie sind nicht so schwer.»
    «Nein, aber … Wieso bin ich nicht im Krankenhaus? Habt ihr denn keinen Krankenwagen gerufen?»
    «Wir haben kein Telefon.» Sie scheint das nicht besonders merkwürdig zu finden. «Außerdem weiß Mathilde, wie man sich um Wunden und solche Sachen kümmert. Papa war mit Georges unterwegs, und sie wollte nicht … Nun, wir haben es allein geschafft.»
    Ich weiß nicht, was sie sagen wollte, sich aber verkniffen hat, oder wer Georges ist. Aber es gibt zu viele andere Fragen, die mir wichtiger erscheinen. «Ist Mathilde Krankenschwester?»
    «Ach nein. Aber sie hat Mama gepflegt, bevor sie starb. Und sie kümmert sich auch um die Tiere, wenn sie sich verletzen. Die Sanglochons kämpfen ständig gegeneinander oder ziehen sich am Zaun Schnittverletzungen zu.»
    Ich habe keine Ahnung, was ein
Sanglochon
ist, und es interessiert mich auch gar nicht. «Ihr habt nicht mal einen Arzt geholt?»
    «Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass es nicht nötig war.» Sie klingt verärgert. «Ich weiß nicht, wieso Sie so sauer sind. Sie sollten dankbar sein, dass wir uns um Sie gekümmert haben.»
    Die ganze Situation wird immer unwirklicher. Aber ich bin wohl nicht in der Position, um irgendwen gegen mich aufzubringen. «Das bin ich auch. Es ist nur … verwirrend.»
    Besänftigt stützt sie sich auf das Schaukelpferd. Ihr Blick bleibt an meinem Gesicht hängen. «Was ist mit Ihrer Wange passiert? Sind Sie gestürzt, als Sie in die Falle getreten sind?»
    «Oh, ich … glaube schon.» Ich habe den Bluterguss ganz vergessen. Ich berühre ihn, und der Schmerz weckt Erinnerungen, die mein Herz schneller schlagen lassen. Rasch lasse ich die Hand sinken und versuche, mich auf die Gegenwart zu konzentrieren. «Das Fangeisen sah nicht sonderlich alt aus. Hast du eine Ahnung, was es
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