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Der Hof (German Edition)

Der Hof (German Edition)

Titel: Der Hof (German Edition)
Autoren: Simon Beckett
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vorbeirauschen. Mein Trekkingrucksack, der über meinen Kopf ragt und Schatten spendet, ist wie eine persönliche Klimaanlage. Fast eine Stunde gehe ich so, bis ich das Gefühl habe, genug Distanz zwischen mich und den Wagen gebracht zu haben. Dann hebe ich den Daumen und hoffe, jemand nimmt mich mit.
    Meine roten Haare sind dabei sowohl ein Vorteil als auch ein Nachteil. Ich ziehe die Aufmerksamkeit auf mich, und man sieht sofort, dass ich hier fremd bin. Als Erstes werde ich von einem jungen Paar in einem klapprigen Peugeot mitgenommen.
    «Où allez-vous?», fragt er, und die Zigarette in seinem Mund bewegt sich dabei kaum.
    Es kostet mich Überwindung, in die fremde Sprache zu wechseln. Ich habe Französisch in letzter Zeit mehr gehört als gesprochen. Aber das ist gar nicht der Grund für mein Zögern.
Wo will ich hin?
    Ich habe keine Ahnung.
    «Irgendwohin. Ich reise einfach herum.»
    Ich sitze auf dem Beifahrersitz, das Mädchen hat sich ohne Widerspruch auf die Rückbank gesetzt. Ich bin froh, dass der Fahrer eine Sonnenbrille trägt, denn so brauche ich meine auch nicht abzunehmen. Sie verdeckt das Schlimmste von dem Bluterguss.
    Er schaut auf meine roten Haare. «Brite?»
    «Ja.»
    «Dein Französisch ist echt gut. Schon lange hier?»
    Einen Moment ringe ich um die Antwort. Es fühlt sich an, als wäre ich schon ewig hier. «Eigentlich nicht.»
    «Und wo hast du es so gut gelernt?» Die Frage kommt von dem Mädchen, das sich zwischen den Sitzen nach vorne beugt. Sie ist dunkelhaarig und mollig, mit einem hübschen, offenen Gesicht.
    «Früher bin ich oft hergekommen. Als ich jünger war. Und ich … Ich steh auf französische Filme.»
    Danach halte ich lieber den Mund, weil ich mehr von mir preisgebe, als ich eigentlich will. Zum Glück scheint sich keiner von beiden allzu sehr für Details zu interessieren. «Ich schau ja lieber amerikanische Filme», meint er und zuckt mit den Schultern. «Wie lange bleibst du?»
    «Keine Ahnung», sage ich.
    Sie setzen mich am Rand einer kleinen Stadt ab. Ich greife auf meine Geldreserve in Euro zurück, um mir Baguette und Käse, eine Flasche Wasser und ein Wegwerffeuerzeug zu kaufen. Ich kaufe außerdem bei einem Straßenhändler auf dem Marktplatz eine Baseballkappe. Eine billige Nike-Kopie, aber sie spendet Schatten und hilft, meine Abschürfungen zu verstecken. Ich weiß, dass ich mich paranoid verhalte, aber ich kann einfach nicht anders. Ich will nicht mehr Aufmerksamkeit auf mich ziehen als unbedingt nötig.
    Es ist eine Erleichterung, die Stadt hinter mir zu lassen und wieder über offenes Gelände zu laufen. Die Sonne brennt auf meinen Nacken herunter. Nach etwa einem Kilometer mache ich unter einer Reihe Pappeln halt und versuche, von dem Baguette und dem Käse zu essen. Ich bringe nur wenige Bissen herunter, ehe ich alles wieder hochwürge. Mein Magen fühlt sich wund an, und als die Krämpfe endlich aufhören, sinke ich gegen einen Baum und bin so erschöpft, dass ich einfach nur hier liegen und aufgeben will.
    Aber das kann ich nicht machen. Meine Hände zittern bei dem Versuch, mir mit dem Wegwerffeuerzeug eine Zigarette anzuzünden. Ich ziehe daran. Es ist die erste seit zwei Jahren, sie schmeckt, als würde ich endlich heimkehren. Ich atme einen Teil meiner Anspannung mit dem Zigarettenrauch einfach aus und genieße es für ein paar Augenblicke, an nichts zu denken.
    Nach der Zigarette stehe ich wieder auf und gehe weiter. Ich habe nur eine ungefähre Vorstellung davon, wo ich bin, aber da ich ohnehin keinen Plan habe, ist das gar nicht so schlimm. Ich strecke den Daumen raus, wenn ein Auto kommt, aber das passiert nicht allzu oft. Die Straßen hier sind vor allem
routes bis
, also Landstraßen durchs Hinterland, die von Durchreisenden, die sich an Nationalstraßen und Autobahnen halten, eher gemieden werden. Am Nachmittag und nachdem ein Citroën und ein Renault mich mitgenommen haben, habe ich weniger als zwanzig Kilometer zurückgelegt. Die Mitfahrgelegenheiten waren nur von kurzer Dauer – Einheimische, die ins nächste Dorf oder in die Stadt wollten. Inzwischen gibt es nicht mal mehr diese. Die Straße ist so leer, dass ich glauben könnte, die Welt da draußen hätte mich vergessen. Die einzigen Geräusche sind das Schaben meiner Schuhe und das unablässige Zirpen der Insekten. Es gibt keinen Schatten, und ich bin froh über das bisschen Schutz von der Baseballkappe.
    Nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit gegangen bin, werden die offenen Felder von
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