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Der Hof (German Edition)

Der Hof (German Edition)

Titel: Der Hof (German Edition)
Autoren: Simon Beckett
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einem dichten Kastanienwald abgelöst, der mit altem Stacheldraht abgesperrt ist. Aber die Äste mit den breiten, fächerförmigen Blättern hängen weit über die Straße und bieten so wenigstens etwas Schutz vor der Sonne.
    Ich lasse den Rucksack langsam von meinen schmerzenden Schultern gleiten und nehme einen Schluck aus meiner Flasche. Es sind nur noch wenige Fingerbreit darin, und das Wasser ist warm wie Blut und vermag kaum meinen Durst zu löschen. Ich hätte eine zweite Flasche kaufen sollen, denke ich. Aber ich hätte so vieles tun sollen. Jetzt ist es zu spät, um irgendwas davon zu ändern.
    Ich kneife die Augen zusammen und starre die Straße entlang, die pfeilgerade verläuft und in der Hitze flirrt. Ich schraube den Deckel auf die Wasserflasche und starre weiter auf die Straße, als würde allein deshalb ein Auto auftauchen, weil ich es will. Natürlich klappt das nicht. Himmel, ist das heiß. Schon jetzt bin ich wieder völlig ausgedörrt. Ich nehme die Kappe ab und fahre mir mit der Hand durch die verschwitzten Haare. Vor einer Weile bin ich am Tor zu einem Bauernhof vorbeigekommen, erinnere ich mich. Ich kaue auf der Unterlippe und überlege. Eigentlich will ich nicht zurück. Aber meine trockene Kehle nimmt mir die Entscheidung ab. Ich habe keine Ahnung, wie weit es bis zur nächsten Stadt ist, und es ist zu heiß, um ohne Wasser weiterzugehen. Ich setze den Rucksack wieder auf.
    Das Tor ist mit demselben rostigen Stacheldraht versehen, der auch den Waldrand säumt. Ein Weg verläuft vom Tor bis zu den Kastanienbäumen. Ein Briefkasten ist an einem Torpfosten befestigt, und in blassweißen Buchstaben steht darauf nur ein Wort:
Arnaud
. Ein altes, aber solide wirkendes Vorhängeschloss hängt an einem Schließband am Tor, aber jemand hat es offen gelassen.
    Ich schaue ein letztes Mal die Straße hoch, doch da ist noch immer kein Auto in Sicht. Also achte ich auf den Stacheldraht, schiebe das Tor auf und gehe hindurch. Der Weg führt in sanftem Schwung bergauf, dann wieder hinab. Weiter hinten entdecke ich im Schutz der Bäume eine Ansammlung von Dächern. Ich folge dem Weg und gelange in einen staubigen Hof. Ein heruntergekommenes, altes Bauernhaus, das von einem wacklig wirkenden Gerüst halb verdeckt wird, steht an seinem Kopfende. Gegenüber gibt es eine große Scheune und an einer Seite einen leeren Stalltrakt, in dessen Giebel eine Uhr eingelassen ist, die nur noch einen Zeiger hat. Im Stall sind keine Pferde, nur ein paar staubige Fahrzeuge parken offenbar mehr oder weniger permanent in den offenen Türen.
    Niemand ist zu sehen. Irgendwo in der Nähe meckert eine Ziege, und ein paar Hühner kratzen im Dreck. Wären die Tiere nicht, könnte man meinen, das Anwesen sei verlassen. Ich bleibe am Rand des Hofs stehen, irgendwie widerstrebt es mir weiterzugehen. Die Tür zum Bauernhaus steht offen. Ich steige die Stufen hinauf und klopfe an das rohe Türblatt. Einen Moment lang ist alles still, dann höre ich die Stimme einer Frau.
    «Qui est-ce?»
    Ich stoße die Tür auf. Nach der Helligkeit im Hof wirkt das Hausinnere auf mich undurchdringlich dunkel. Es dauert ein, zwei Sekunden, ehe ich eine junge Frau erkenne, die am Küchentisch sitzt. Und es dauert etwas länger, bis ich das Baby erkenne, das sie auf dem Arm trägt.
    Ich hebe die leere Flasche und zögere, während ich mir die Frage auf Französisch zurechtlege. «Kann ich wohl etwas Wasser haben, bitte?»
    Wenn es ihr Unbehagen bereitet, von einem Fremden gestört zu werden, zeigt sie das nicht offen. «Wie sind Sie hier reingekommen?», fragt sie ruhig.
    «Das Tor stand offen.»
    Ich fühle mich wie ein Eindringling, als sie mich mustert. Sie setzt das Baby in einen hölzernen Hochstuhl. «Möchten Sie auch ein Glas Wasser trinken?»
    «Das wäre großartig.»
    Sie nimmt die Flasche mit zur Spüle und füllt sie am Wasserhahn, ehe sie außerdem ein großes Glas füllt. Ich trinke dankbar. Das Wasser ist eiskalt und hat den erdigen Geschmack von Metall.
    «Danke», sage ich und gebe ihr das leere Glas zurück.
    «Können Sie das Tor hinter sich schließen?», bittet sie mich. «Es hätte nicht offen bleiben dürfen.»
    «Okay. Noch mal vielen Dank.»
    Ich kann ihren Blick auf mir spüren, als ich den sonnigen Innenhof wieder überquere.
    Ich folge dem Weg zurück durch den Wald zur Straße. Es ist dort so still wie zuvor. Sorgfältig schließe ich das Tor und marschiere weiter. Hin und wieder drehe ich mich um und schaue, ob ein Auto kommt,
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