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Der Hof (German Edition)

Der Hof (German Edition)

Titel: Der Hof (German Edition)
Autoren: Simon Beckett
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dort zu suchen hat?»
    Sie nickt. «Das ist eine von Papas Fallen.»
    Ich weiß nicht, was mich mehr entsetzt: die beiläufige Art ihres Geständnisses oder die Tatsache, dass es da draußen noch mehr davon gibt.
    «Du meinst, du hast davon
gewusst

    «Natürlich. Papa stellt viele Fallen auf. Er ist der Einzige, der weiß, wo sich jede einzelne befindet. Aber er hat uns gesagt, wo im Wald wir lieber aufpassen sollen.»
    Sie spricht es «P’paaa» aus und stößt die beiden Silben sanft wie eine einzige hervor. Die Kurzform klingt für mich ehrfürchtig und nicht kindlich. Aber was weiß ich schon; im Moment habe ich ganz andere Probleme.
    «Was will er damit denn fangen? Es gibt in dieser Gegend doch keine Bären, oder?» Ich meine mich zu erinnern, schon mal von Braunbären in den Pyrenäen gehört zu haben. Das ist zwar nicht gerade in der Nähe, aber es ist im Moment die einzige halbwegs vernünftige Erklärung, die mir einfällt.
    Gretchens Lachen macht diese vage Hoffnung gleich wieder zunichte. «Nein, natürlich nicht! Die Fallen sollen die Leute davon abhalten, einfach aufs Grundstück zu kommen.»
    Sie sagt das, als wäre es absolut normal, fast tödliche Menschenfallen aufzustellen. Ich schaue auf meinen Fuß und kann es immer noch nicht glauben. «Das meinst du nicht ernst?»
    «Der Wald gehört uns. Wenn jemand sich darin herumtreibt, geschieht es ihm ganz recht.» Sie ist jetzt kühler, fast schon überheblich. «Was haben Sie überhaupt auf unserem Grund zu suchen gehabt?»
    Ich hab mich vor einem Polizeiauto versteckt.
So langsam glaube ich, das wäre noch das kleinere von zwei Übeln gewesen. «Ich wollte mich erleichtern.»
    Gretchen kichert. Ihre schlechte Laune ist verflogen. «Ich wette, Sie wünschen sich jetzt, es ausgehalten zu haben.» Ich bringe ein schwaches Lächeln zustande. Sie betrachtet mich, und ihre Finger fahren dabei über die raue Mähne des Schaukelpferds. «Mathilde sagt, Sie sind ein Rucksacktourist. Sind Sie hier auf Urlaub?»
    «So was in der Art.»
    «Sie sprechen sehr gut Französisch. Haben Sie eine französische Freundin?»
    Ich schüttle den Kopf.
    «Dann eine englische?»
    «Nein. Wann kann ich gehen?»
    Gretchen hört auf, die Pferdemähne zu streicheln. «Warum? Haben Sie es eilig?»
    «Es gibt Leute, die mich erwarten. Sie werden sich Sorgen machen.»
    Die Lüge klingt sogar in meinen Ohren wenig überzeugend. Sie lehnt sich zurück und stützt sich mit den Händen auf dem Schaukelpferd hinter ihr ab. Ihre Brüste drücken sich gegen das T-Shirt. Ich schaue weg.
    «Sie können jetzt noch nicht gehen», erklärt sie. «Es geht Ihnen noch nicht wieder gut. Sie sind fast gestorben, verstehen Sie? Sie sollten dankbar sein.»
    Das sagt sie nun schon zum zweiten Mal. Ich bin nicht sicher, ob das eine Drohung sein soll. Die Falltür ist jetzt nicht verriegelt, und einen kurzen Moment überlege ich, ob ich dorthin rennen soll. Dann werde ich von der Wirklichkeit eingeholt – Laufen ist im Moment für mich keine Option.
    «Ich geh lieber zurück», sagte sie.
    Das Schaukelpferd nickt heftig, als sie aufsteht. Ihre Jeans umschmiegt ihren Hintern und die Hüften, als sie sich bückt, um die schwere Falltür hochzuheben. Sie macht mehr Aufhebens darum, als eigentlich nötig wäre, und der rasche Blick, den sie in meine Richtung wirft, als sie sich aufrichtet, lässt mich glauben, dass das kein Zufall ist.
    «Kannst du den Riegel offen lassen?», frage ich. «Hier oben ist kaum frische Luft.»
    Gretchens Lachen ist hell und mädchenhaft. «Natürlich ist hier genug frische Luft. Wie könnten Sie sonst atmen? Sie wären ja schon tot, wenn’s nicht so wäre.»
    Obwohl ich darauf warte, zucke ich doch zusammen, als ich höre, wie der Riegel wieder vorgeschoben wird.
     
    Ich erinnere mich nicht, wie ich eingeschlafen bin. Als ich aufwache, ist der Dachboden dunkel und von Schatten bevölkert. Ich drehe meine Uhr so, dass Licht darauf fällt, und sehe, dass es schon nach neun ist. Ich lausche auf irgendwelche Geräusche von draußen, aber nichts dringt bis zu mir. Kein Flüstern, nicht mal ein Vogel oder ein Insekt.
    Ich habe das Gefühl, der letzte Mensch auf Erden zu sein.
    Das Tablett mit Essen, das Gretchen mir gebracht hat, steht noch neben dem Bett. Es gibt eine mit Wasser gefüllte Weinflasche, eine Schüssel mit Milch und zwei Stücke von etwas, das wie selbstgebackenes Brot aussieht. Überrascht stelle ich fest, wie ausgehungert ich bin. Die Milch ist kühl und
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