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Der Herr der Welt

Der Herr der Welt

Titel: Der Herr der Welt
Autoren: Vampira VA
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eine schmale Scharte fiel. Ihr Geistkörper fühlte sich davon angezogen wie eine Motte vom Licht.
    Vielleicht war es aber auch Anums Magie, die diesen Effekt bewirkte. Sie war ein Fremdkörper in seiner Festung. Sicherlich hatte er magische Vorkehrungen getroffen, um unerwünschte Besucher loszuwerden.
    Nona stemmte sich gegen den Sog. Es war vergebens. Mit unwiderstehlicher Macht drängte es sie nach draußen.
    Dann lag die Festung unter ihr wie ein riesiges schwarzes Tiefseewesen. Nona spürte trotz ihres fehlenden Körpers eine Gänsehaut. Das Monstrum schien sie aus tausend Augen anzublicken, aber es waren nur die blinden Scharten und Öffnungen darin.
    Nona gab nicht auf. Sie strebte einer weiteren Öffnung zu, doch es gelang ihr nicht, auch nur in deren Nähe zu kommen. Etwas wie eine Gegenströmung brandete ihr entgegen.
    Ohne Kierszans Hilfe würde es ihr nie gelingen, noch einmal An-ums Festung zu betreten .
    *
    Erinnerungen
    Der Friedhof vor meinem Fenster erstreckt sich bis zum Horizont. Wenigstens kommt es mir so vor. Jetzt, im Morgengrauen des frühen Tages, hängen die Nebelschwaden wie Leichentücher über den Gräbern und gaukeln eine sich in Bewegung befindliche unendliche Weite vor, als befände man sich auf dem Saragossa-Meer. Die Grabengel versinken in diesem Nebelmeer wie Schiffbrüchige.
    Ein einziger steinerner Engel erhebt sich aus dem Nebel. Unwillkürlich kommt mir das Bild des auf der Wasseroberfläche daher-schreitenden Jesus in den Sinn.
    Und dann sehe ich die Frau. Es ist ungewöhnlich, so früh am Morgen eine Besucherin auf dem Friedhof zu sehen. Sie ist in einen schwarzen Mantel gehüllt und trägt einen Strauß blutroter Rosen. Den Weg scheint sie gut zu kennen, obwohl sie mir zuvor noch nie hier aufgefallen ist.
    Mit traumwandlerischer Sicherheit schlägt sie den Pfad ein, der zu dem erhobenen Engel führt.
    Obwohl ich kein schlechtes Gewissen habe, sie vom Fenster meiner Praxis aus zu beobachten, trete ich ein wenig tiefer in den Schatten des Zimmers zurück. Sie wendet mir den Rücken zu, legt die Blumen aufs Grab. Dann steht sie stumm davor, die Hände zum Gebet gefaltet.
    Minuten vergehen. Plötzlich fällt sie auf die Knie und sinkt vornüber. Sie wälzt sich auf dem Grab, krallt ihre Finger in die feuchte Erde. Dann sehe ich, wie sie sich die Erde in den Mund stopft. Ihr Gesicht leuchtet vor Verzückung.
    Entsetzt, aber gleichzeitig fasziniert wende ich mich ab. Es ist acht Uhr. Miss Steward wird gleich kommen und die ersten Patienten hereinlassen.
    Der Bezirk, in dem ich wohne und auch praktiziere, befindet sich nahezu gänzlich in der Hand alter Leute. Nahezu, sage ich und zähle mich dabei zu den Ausnahmen. Sicherlich, ich habe die Fünfzig bereits überschritten, doch wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich dort eine durchaus stattliche Erscheinung mit vollem schwarzen Haar. Daß meine Schläfen bereits etwas angegraut sind, macht mich in den Augen der meisten Frauen eigentlich nur noch attraktiver.
    Es gibt viele Ärzte in dieser Stadt. Manchmal glaube ich, daß es außer den alten Leuten ansonsten nur noch Ärzte gibt. Und Sprechstundenhilfen natürlich. Was wäre ich ohne sie! In ihren weißen, gestärkten Kitteln symbolisieren sie für mich seit jeher den Inbegriff von Unschuld und Verführung zugleich.
    Da haben wir zum Beispiel Miss Steward. Sie ist jetzt seit einem Jahr in meiner Praxis. Rotblonde, bis zu den zarten Schulterblättern reichende Haare, eine schlanke Figur mit runden Hüften und einer schmalen Taille. Am bemerkenswertesten sind jedoch ihre Brüste. Groß und schwer wölben sie sich unter dem Weiß ihres Kittels.
    Es ist erst acht Uhr morgens, aber auch ohne daß ich einen Blick in das Wartezimmer geworfen habe, weiß ich, daß es bereits überfüllt ist. So ist es immer. In dieser Stadt gibt es mehr Kränkelnde und Kranke, wirkliche wie eingebildete, als sonstwo. Daß die Leute zu mir besonders gern kommen, hat einen einfachen Grund: Ich kenne ihre Krankheiten. Ich sehe sie vor mir wie abstrakte Gemälde.
    Wenn Sie so wollen: Ich kann Gedanken lesen.
    Nehmen wir Mrs. Darlton. Sie ist eine große, schlanke, gutgewachsene Frau Anfang Vierzig mit kastanienbraunen Haaren und einem nach oben geschwungenen Mund. Ich habe ihre Akte vor mir auf meinem Schreibtisch liegen. Miss Steward hat mir die Unterlagen in der Reihenfolge der Patienten bereits hingelegt, so daß ich weiß, wer als nächstes das Behandlungszimmer betreten wird.
    Miss Steward führt Mrs.
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