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Der Herr der Welt

Der Herr der Welt

Titel: Der Herr der Welt
Autoren: Vampira VA
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ein. Sie horchte um sich. Kierszan war noch immer nicht eingetroffen. Sie war nach wie vor allein.
    Einen kurzen Augenblick überkam sie Panik. Sie versuchte sich zu beruhigen. Ihr Geist tastete erneut nach ihrem Körper. Es war zwecklos.
    Wie lange hatte sie geschlummert? Stunden - oder gar Tage? In ih-rem körperlosen Zustand hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren.
    Es zog sie wieder hinaus ins Freie.
    Draußen regnete es, aber natürlich spürte sie die Nässe nicht. Der abnehmende Mond war irgendwo hinter schwarzen Wolkenbänken verschwunden. Also konnte sie sich noch nicht einmal nach ihm orientieren.
    Sie überlegte, was sie nun tun sollte. Sie mußte ihrem ruhelosen Geist ein klares Ziel geben. Sollte sie wieder zurück zu Anums Festung und dort warten, bis Kierszan sich irgendwann meldete?
    Sie machte sich Sorgen, daß er noch immer nicht zurückgekehrt war. Was, wenn er verschwunden blieb? Sie wagte nicht, den Gedanken weiter zu verfolgen.
    Plötzlich hörte sie das Wispern. Irgendwo hatte sie es schon einmal gehört. Es hatte mit einem unangenehmen Teil ihrer Erinnerungen zu tun, und sie hatte es verdrängt. Aber nun fiel es ihr wieder ein: Als sie noch nicht gewußt hatte, daß diese Welt ohne Technik war, hatte sie versucht, über ein Telefon Hilfe herbeizurufen. Statt der Notrufzentrale hatten sich andere Stimmen gemeldet.
    Die Stimmen der Toten.
    Sie waren durch den Äther an ihr Ohr gedrungen. In einer Welt der Magie waren auch die Toten gegenwärtiger als in einer technisierten Welt.
    Jetzt hörte Nona die Stimmen abermals. Es war nur unterschwellig zu vernehmen, wie das Ticken von Uhren, aber sie hatte das Gefühl, daß es mit jeder Sekunde aufdringlicher wurde.
    Warum konnte sie die Stimmen plötzlich hören? Auch ohne, daß sie einen Telefonhörer an ihr Ohr gepreßt hielt? Wenn es wirklich die Stimmen von Toten waren, bedeutete dies, daß auch sie sich an der Schwelle des Todes befand?
    Der Gedanke verursachte ihr Unbehagen. Sie mußte Gewißheit haben. Statt den Stimmen zu entfliehen, konzentrierte sie ihre Gedanken noch stärker darauf.
    Wer seid ihr? fragte sie - genau wie damals.
    Du weißt, wer wir sind. Warum fragst du noch? Die Stimmen waren wie das welke Rascheln vertrockneten Herbstlaubs.
    Ihr macht mir Angst, dachte Nona. Sie wußte, daß es nicht klug war, den toten Seelen ihre Angst zu zeigen, aber sie konnte den Gedanken nicht zurückhalten.
    Die Stimmen gingen in ein Geräusch über, das an ein vielstimmiges Kichern erinnerte. Nona hatte das Gefühl, als würden Kreidestücke quietschend über eine Schiefertafel fahren.
    Bevor sie einen weiteren Gedanken aussenden konnte, spürte sie eine Präsenz in unmittelbarer Nähe. Gleichzeitig war eine der wispernden Stimmen viel lauter zu hören als der Rest.
    Nona versuchte mit all ihren Sinnen, mehr wahrzunehmen.
    Da bemerkte sie vor sich eine flackernde Gestalt, die sich vor dem Nachthimmel zu manifestieren begann. Unwillkürlich schrak sie davor zurück.
    Du bist nicht wie wir anderen, sagte die Stimme.
    Hätte Nona über ihren Körper verfügt, so hätte sie sich mit den Händen die Ohren zugehalten. Es war eine Sache, die Stimmen aus weiter Entfernung zu hören. Eine andere war es, sie so unmittelbar zu vernehmen. Nona kam es vor wie eine Glocke, deren Nachhall ihr ganzes Innerstes zum Erzittern brachte.
    Ich bin anders, weil ich lebe, antwortete Nona.
    Gleichzeitig wußte sie, daß sie wieder einen Fehler begangen hatte. Allein der Gedanke an Leben weckte die Gier ihres Gesprächspartners. Sie spürte die Woge der Gier, die über sie hinwegwehte, wie einen Schlag in die Magengrube.
    Die Gestalt kam näher. Gleichzeitig schien sie an Festigkeit gewonnen zu haben. Es handelte sich um eine Frau mit langen blonden Haaren. Das Gesicht der Frau mochte einstmals schön gewesen sein; im Tod ähnelte es einem fleischlosen, grinsenden Schädel. Fleischfetzen überdeckten nur bruchstückhaft die weißen Knochen.
    Hinter der Frau manifestierten sich weitere schemenhafte Gebilde.
    Nona versuchte sich zurückzuziehen, aber die Toten hatten Blut geleckt. Sie ließen sich nicht mehr abschütteln.
    Du hast so viel Leben in dir, sagte die Frau. Gib uns etwas davon ab!
    Nona sandte Gedanken des Widerwillens und des Abscheus, aber die Frau ließ sich nicht abwimmeln. Sie kam näher und näher. Mit den anderen Seelen der Toten im Schlepptau.
    Nona fühlte, wie die Kälte wie mit Totenfingern nach ihr griff. Eiszapfen durchbohrten ihre Seele.
    Laßt mich
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