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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe
Autoren: Ralf Isau
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Das Bild der blitzen-den Pistole schien sich durch die Lider des Jungen zu brennen.
    Er sah die Waffe immer noch, glaubte zu hören, wie sie Atem 21
    schöpfte, um ihre tödliche Ladung auszuspeien. Wenn er ihr nur befehlen könnte zu schweigen! Alles in ihm bäumte sich gegen den Augenblick auf, der ihm unabwendbar schien …
    »Drei!«
    … Die Pistole durfte nicht …!
    Klick!
    Nico riss die Augen auf. Im lichten Türspalt war niemand zu sehen.
    Klick, klick, klick!
    Manzini betätigte wiederholt hektisch den Abzug, aber die Waffe verweigerte ihm aus irgendeinem Grund den Gehorsam.
    »Verdammt! Wenn man sie mal braucht, dann funktionieren die Dinger nicht.«
    »Jetzt haben Sie mich aber wirklich erschreckt, Don Massimiliano! Einen Augenblick lang hatte ich gedacht …« Noch im Flur konnte man die Erleichterung in der Stimme des Uhrmachers vernehmen. Ein Poltern brachte sie erneut zum Verstummen.
    Nico sah, wie die Pistole über den Boden rutschte. Danach hörte er ein metallisches Klacken. Wiederum erschien Manzini im Türspalt, in seiner Hand lag ein langes Stilett.
    »Jetzt ist aber Schluss!«, rief Emanuele.
    »Sie sagen es, Signor dei Rossi.« Manzini trat mit unerwarteter Schnelligkeit vor, umfasste Emanueles Nacken und zog ihn zu sich heran. Das Auftragsbuch fiel zu Boden. Beim Aufprall öffnete es sich an der Stelle des letzten Eintrags, wo die Seiten von einem metallenen Lesezeichen zusammengehalten wurden. Einen Moment lang kämpften die Männer miteinander und taumelten dabei in dem Ausschnitt, der dem heimlichen Beobachter so jäh zum Fenster in eine Kammer des Schreckens geworden war. Der Junge vernahm das Ächzen der beiden um Leben und Tod ringenden Kontrahenten. Er wollte schreien, aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Plötzlich ging ein Ruck durch Manzinis Körper.
    Nico hörte ein Keuchen, dem ein gurgelnder Laut folgte. Während er die ineinander verschlungenen, wie versteinert dastehen-den Männer anstarrte, entleerte sich seine Blase.
    22
    »Papà!« Das Wort war nicht mehr als ein Hauch auf seinen Lippen. Warum bewegten sich die beiden nicht? Hatte sein Vater etwa den mächtigsten Mann der Stadt erstochen? Oder …?
    Unvermittelt rutschte der Uhrmacher am Körper seines Geg-
    ners herab. Nico zuckte zusammen, als er seinen Vater zu Boden sinken sah, wo er auf dem Rücken liegen blieb. Das Stilett ragte aus seiner Brust.
    »Niemand verrät Massimiliano Manzini.« Der Mörder bückte
    sich und zog seinem Opfer das Messer aus dem Körper. Auf Emanueles Hemd verwandelte sich um die blutende Wunde herum
    Weiß zu Rot. Nachdem Manzini die schmale Klinge an der Hose des Uhrmachers abgewischt, das Stilett zusammengeklappt und es weggesteckt hatte, richtete er sich wieder auf. Ohne erkennbare Eile ließ er seinen Blick durch die Werkstatt schweifen.
    Einen Moment lang sahen seine dunklen, kleinen, eng zusam-menstehenden Augen direkt zu dem Türspalt. Nico konnte sich noch immer nicht rühren. Er glaubte den Blick des Mörders wie die Glut zweier Kohlen auf seinem Gesicht brennen zu spüren.
    Das Blut seines Vaters klebte auf Don Massimilianos schillernder Weste.
    Dann war der Atemhauch des Todes vorübergezogen. Manzinis Augen suchten weiter, und der Junge fühlte, wie das Leben krib-belnd in seine Beine zurückkehrte. Während er sich langsam, jedes unnötige Geräusch vermeidend, aufrichtete, durchquerte der Mörder mehrmals den Ausschnitt der offen stehenden Tür.
    Beim ersten Mal hielt er die Schatulle aus Ahorn in der Hand, beim zweiten sah Nico die Meisteruhr unter dem sich schließenden Deckel verschwinden, und dann zog Manzini das Auftragsbuch unter dem Körper seines Opfers hervor. Erst als er sich darauf zum Gehen wandte, wurde Nico bewusst, in welcher Gefahr er schwebte. Er konnte nicht fortlaufen, ohne sich zu verraten – die Dielen des alten Hauses knarrten bei jedem Tritt.
    »Du denkst, die Zeit zu beherrschen, doch am Ende wird sie über dich siegen …«
    Nico horchte auf. Es war die Stimme seines Vaters, keuchend, 23
    leise nur, die Manzini herumfahren ließ. Und dann glaubte der Junge selbst einen Stich in der Brust zu spüren. Er sah das ihm zugewandte Gesicht des Vaters, seine glitzernd feuchten Augen, in denen das Leben noch einmal trotzig aufflackerte. Nur einen Moment lang berührten sich beider Blicke, ein stiller Händedruck zum Abschied. Hatte der Vater etwa doch das Summen seines zu Tode erschreckten Kindes vernommen? Hatte er deshalb den Zorn des Mörders auf sich
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