Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
Unterarme auf die Tür gestützt und das Kinn auf die zarten weißen Hände gelegt. Für einen atemberaubenden Moment betrachtete sie den Fremden
    aus ihren funkelnden dunklen Augen. Unter ihrem strengen Blick 28
    fühlte sich der junge Mann wie ein im Schaukasten mit einer Nadel fixierter Schmetterling. Es fiel ihm schwer, nicht auf ihre Brüste zu starren, die sich an dem Fenster drückten.
    Ohne den so gefangenen Wanderfalter freizugeben, rief sie:
    »Uberto, wie lange dauert denn das noch?«
    Der Chauffeur sah erst seine Herrin, dann den jungen Mann an – keiner von beiden würdigte ihn eines Blickes. »Das störrische Ding hat mir den Krieg erklärt, Donna Laura. Ich werde Ihnen wohl ein anderes Fahrzeug besorgen müssen.«
    Das Herz des Jünglings machte einen Sprung. Laura! Das also war ihr Vorname. Nein, es war ein kostbares Schmuckstück, ein Begrüßungsgeschenk, das seiner Ankunft in der Stadt einen bittersüßen Beigeschmack verlieh. Er würde diese goldene Kette aus fünf Buchstaben im sichersten Winkel seines Gedächtnisses bewahren …
    »Und was sagen Sie dazu?«
    Der junge Mann erschrak. Hatte Donna Laura, die zweifellos aus gutem Hause stammte, da eben ihn angesprochen, den eher ärmlich gekleideten Fremden? Er deutete auf seine Brust. »Ich?«
    Irgendetwas schien sie zu amüsieren. Ihr Blick blieb kühl.
    Und ihre Antwort klang ungeduldig, sogar ein wenig spitz. »Abgesehen von Uberto, der seine Unfähigkeit ja eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, sehe ich niemanden hier, den ich sonst hätte fragen können.«
    Der junge Mann sah verwirrt zu der Menschentraube hinüber, die dem Dialog aufmerksam folgte. »Nun«, begann er verlegen,
    »ich würde sagen. Ihr Chauffeur hat Recht.«
    Das Mädchen wandte ihm ihr schneeweißes Ohr zu. Scheinbar belustigt fragte sie: »Höre ich da einen Wiener Akzent?«
    »Sie haben ein feines Gehör, Donna Laura.«
    Ein bezauberndes Lächeln huschte über ihre Lippen. »In
    Locarno hatte ich zwei Klassenkameradinnen aus Wien, deren Italienisch ganz ähnlich klang«, sagte sie in fließendem Deutsch –
    sehr zum Unwillen des Publikums –, und der Fremde passte sich ihr an.
    29
    »Sie sind in der Schweiz zur Schule gegangen?«
    Donna Lauras eben noch heitere Miene wirkte mit einem
    Mal wieder so unnahbar wie zuvor, fast so, als habe eine innere Stimme sie zur Ordnung gerufen. »Womit hat Uberto Recht?«
    Dem jungen Mann gelang der Themenwechsel weniger leicht.
    Er musste das Gespräch im Gedächtnis erst zurückrollen, bevor ihm die passende Antwort einfiel. »Ihr Chauffeur sagte zu Ihnen, das störrische Ding habe ihm den Krieg erklärt. Genau so ist es.«
    Ihre Mundwinkel zuckten. »Wie kann ein Automobil einem
    Menschen den Krieg erklären?«
    »Beispielsweise, indem es sich nicht mehr starten lässt.«
    »Sie wollen sich über mich lustig machen, Herr …«
    »Michel. Niklas Michel. Das liegt mir fern, Donna Laura. Es gibt Personen, die einen Apparat nur scheel ansehen müssen, und schon verweigert die Maschine ihnen den Dienst. Oder schlimmer noch: Sie tut völlig unerwartete Dinge, für die sie eigentlich überhaupt nicht konstruiert ist.«
    »Wenn Sie jetzt auch noch behaupten, ich wäre meinem Automobil unsympathisch, dann rufe ich die Polizei.«
    »Um einen Irren in die Nervenheilanstalt zu überstellen?« Niklas Michel lächelte. »Die Mühe möcht ich Ihnen ersparen, Signorina. Im Übrigen ist es Ihr Chauffeur, der auf den Gefühlen des Lancia herumtrampelt. Mir ist schleierhaft, wie Sie einem solchen Grobian Ihren Wagen anvertrauen können. Es hätte nicht viel gefehlt, und das gute Stück wäre von ihm restlos zerbeult worden.«
    »Das Automobil gehört meinem Vater, und außerdem sind
    Ubertos Wutausbrüche nur Schau. Er macht immer viel Lärm, hat aber noch nie etwas kaputt … Halt! Wo wollen Sie denn hin?«
    Der junge Mann hatte unversehens den Rückweg zu seinem
    Koffer angetreten. Ohne sich umzudrehen, lüpfte er die Schirmmütze und rief: »Ich wünsche Ihnen noch einen guten Tag, Signorina.«
    »Was hat er gesagt, Donna Laura?«, knurrte der Fahrer, der wohl aus dem für ihn unverdaulichen deutschen Wortbrei seinen Namen herausgefischt hatte.
    30
    »Er behauptet, du hättest die Gefühle des Automobils ver-
    letzt.«
    Der Fahrer schnappte nach Luft. »So etwas Haarsträubendes habe ich überhaupt noch nie gehört. Ich … « Er schüttelte empört den Kopf und wandte sich dem Fremden zu. »Sie gehören in die Klapsmühle, Signore. Setzen Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher