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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe
Autoren: Ralf Isau
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saubere Hose sowie zum Schutz gegen die klamme Novemberkälte eine grüne Lodenjacke. Unter seiner schwarzen Schirmmütze lugten ein paar dunkelblonde Locken hervor.
    Langsam ließ der junge Mann seinen Pappkoffer zu Boden
    sinken. Auf seinem Gesicht spiegelte sich noch Ungläubigkeit über den sinnlosen Gewaltakt, in seinen auffallend großen braunen Augen glomm indes schon ein Unwille, der jeden Moment in Zorn umzuschlagen drohte.
    »Er ist noch so jung, gerade erst ein Jahr alt«, sagte er mit mühsam beherrschter Stimme. Es war sonst nicht seine Art, sich in anderer Leute Angelegenheiten einzumischen, zumal wenn 26
    diese ihn um mehr als einen Kopf überragten und wohl auch das Doppelte seines Kampfgewichts auf die Waage brachten.
    Der Wüterich trat wie zum Trotz noch einmal gegen den Reifen der Limousine und baute sich sodann vor dem Fremdling auf.
    Nachdem er die Arme über der Brust verschränkt hatte, grunzte er: »Was verstehst du davon, he? Scher dich weg!«
    Der junge Mann wich nicht von der Stelle. Im Gegenteil schob sich sein spitzes Kinn sogar aufmüpfig dem Hünen entgegen.
    »Wenn Sie den Wagen weiter schlagen, treten und beleidigen, wird er erst recht nicht anspringen.«
    Der Chauffeur hieb mit der flachen Hand auf die Motorhaube, dass es nur so krachte. Danach strich er sich mit dem Zeigefinger über den dunklen Schnurrbart, kniff ein Auge zu und erwiderte grinsend: »Ich kann diesen störrischen Esel aus Blech so viel treten und beschimpfen, wie ich will, Bürschchen. Außerdem, woher willst du wissen, dass die dumme Kiste bockt? Bist du nicht gerade erst vom Bahnsteig rübergekommen?«
    »Ich weiß es eben.«
    »Bist wohl nicht von hier. Deine Sprache ist so komisch.«
    »Ich komme aus Österreich.«
    »Ein Reichsdeutscher? Dafür ist dein Italienisch allerdings ganz passabel.«
    »Danke.«
    »Du bist nicht zufällig Mechaniker? Kennst du dich mit solchen Wagen aus?«
    Der Fremde ging um Chauffeur und Fahrzeugfront herum,
    immer noch beobachtet von einigen Passanten. Er beugte sich leicht vor und ließ seine Handfläche dicht über die Haube ent-langschweben, so als wolle er die Wärme des Motors fühlen. Aus den Augenwinkeln spähte er in das Innere der Limousine, konnte aber nicht viel erkennen, weil gerade die Wolken aufgerissen waren und sich die Sonne in den Scheiben spiegelte. Er glaubte im Fond eine zierliche Gestalt auszumachen. Ohne den Blick vom Wagen zu nehmen, entgegnete er: »Zugegeben, Automobile können recht eigensinnig sein. Manche sind unheimliche Auf-27
    schneider: Sie blenden mit poliertem Holz und Chrom, obwohl sie doch lärmen und ganz fürchterlich stinken. Euer übermütiger junger Lancia Astura hier macht da keine Ausnahme. Dreiliter-V8-Motor – das nenne ich ein starkes Herz! Baujahr ’37, nicht wahr?
    Und eine feine Hülle hat man ihm auch angepasst: Die Karosserie wurde von Mayfair Carriage geschneidert, nehme ich an.«
    Der uniformierte Choleriker bekam den Mund nicht mehr zu.
    Offenbar hatte ihn der junge Mann mit seinem profunden Wissen über Luxusautomobile überrascht. Schließlich fand der Chauffeur dann – hörbar gemäßigt – doch seine Sprache wieder. »Verstehst wohl tatsächlich was davon. Meine Herrin würde es sehr zu schätzen wissen, wenn …« Er hielt inne, als sich unversehens der hintere Wagenschlag öffnete.
    Auch der Fremde wandte sich um. Zuerst sah er nur ein blasses Gesicht hinter dem Fenster, hiernach einen über der Tür auftau-chenden Kopf, und dann verschlug es ihm die Sprache. Sein Herz begann heftig zu schlagen. Die vom Chauffeur mehrmals erwähnte
    »Herrin« war keine Achtung gebietende Signora in fortgeschrittenem Alter, sondern eine Signorina von höchstens achtzehn Jahren.
    Mit dem Antlitz eines Engels.
    Dieser Gedanke vernebelte explosionsartig das Bewusstsein des jungen Mannes. Von nun an befand er sich in einer Art Trancezustand, in dem es ihm völlig unmöglich war, sie nicht anzusehen. Ihr Gesicht erschien ihm geradezu überirdisch. Einige schwarze Strähnen ragten ihr, als wollten sie Zweifel am Bild der makellosen Blässe wecken, tief in die Stirn. Aber dieser Kontrast machte das Mädchen in den Augen des jungen Mannes nur umso schöner. Während er noch den Umstand bedauerte, nicht mehr von ihrem wunderbaren, leider unter einem eng anliegenden Käppi größtenteils verborgenen Haar zu sehen, reckte sie sich eher keck als damenhaft hinter der offenen Tür. Sie hatte sich auf das Trittbrett der Limousine gestellt, die
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