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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe
Autoren: Ralf Isau
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eine komische Weise 14
    unbeholfen, fast wie ein Vater, der zum ersten Mal sein neugebore-nes Kind im Arm hält. Sein schwarzer Schnurrbart zuckte nervös.
    Don Massimiliano war eine stattliche Erscheinung, die gewöhnlich durch sicheres Auftreten überzeugte. Damit überspielte er geschickt einige körperliche Defizite, die zumeist auf das Konto seiner enormen Masse gingen. Sein rundes Vollmondgesicht und die fleischige, an ihrem dicken Ende wie ein Kinderpopo gespaltene Nase gaukelten Gutmütigkeit vor, was ihm bisweilen zum Vorteil gereichte. Er kleidete sich stets elegant; auch für seinen informel-len Besuch im Haus des Uhrmachers hatte er einen schwarzen Anzug gewählt. Der einzige Spleen, den sich das ansonsten sehr konservative Mitglied des Gemeinderats von Nettuno leistete, waren bunt schillernde Seidenwesten. An diesem Abend glänzte er vorwiegend in den Farben Rot und Silber. Nachdem er die Uhr durch sein goldgefasstes Monokel gebührend bestaunt hatte, kam das darüber ins Stocken geratene Gespräch wieder in Gang. Der Lauscher im Flur blieb unentdeckt und atmete erleichtert auf.
    »Sie ist schöner, als ich es mir je hätte vorstellen können!«, schwärmte Manzini, dessen Stimme stets so klang, als würden in seinem Kehlkopf kleine Kieselsteine tanzen.
    »Danke. Sie sind zu freundlich, Don Massimiliano.«
    »Ehre, wem Ehre gebührt, Maestro. Was bewegt sich da hinter dem Zifferblatt?«
    »Es ist die Unruh. Sie hatten mich ja eindringlich auf die Symbolik der Uhr eingeschworen. Durch das Fenster aus Saphirglas kann man in ihr Inneres sehen. Die Unruh soll Ihre Lebenskraft darstellen, Don Massimiliano, und Ihren nie rastenden Fleiß.«
    Nico verdrehte die Augen. Manzini würde die Uhr auch ohne derartige Schmeicheleien bezahlen.
    »Haben wir das abgesprochen?«, fragte der Kunde.
    Emanuele dei Rossi wirkte für einen Augenblick erschrocken.
    »Ich kann ein anderes Zifferblatt einbauen, wenn es Ihnen nicht gefällt, Don …«
    »Nein, nein, schon gut, Signor dei Rossi. Darf ich sie mir genauer ansehen?«
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    »Nur zu! Sie gehört ja jetzt Ihnen.«
    Manzini entnahm die Uhr der Holzkiste, die er Emanuele achtlos reichte, rückte sein Monokel zurecht und widmete sich den vielen Details des Meisterstücks. Auf dem vorderen Deckel war ein Pfau dargestellt, der ein Rad schlug. Kleine Smaragde funkelten auf dem Außenrand des Federkreises. Die Augen des Vogels bestanden aus Rubinsplittern. Die Rückseite der schweren Uhr trug das Familienwappen der Manzinis. Als Gründer einer Dynastie hatte er es sich nach eigenen Vorstellungen entwerfen lassen. Umgeben von fein ausgearbeiteten Ornamenten zeigte es auf einem Schild den Hammer eines Steinmetzen, gekreuzt von einem gladius, jenem Kurzschwert römischer Legionäre, dem auch die Gladiatoren ihren Namen verdankten. Das Werkzeug des Handwerkers verwies unverkennbar auf Manzinis Wurzeln, mit jenem des Kriegers wollte er offenbar seinen unbezwingbaren Willen dokumentieren wie auch seine Entschlossenheit, sich von nichts und niemandem einschüchtern zu lassen. In der Aufzugkrone saß ein Brillant von sechs Karat. Auch für die Lagerung der Unruhwellenzapfen und anderer beweglicher Teile hatte Nicos Vater Diamanten verwendet, insgesamt fünfzehn an der Zahl. Die Spiralfeder bestand aus Invar, einer speziellen Nickel-Stahl-Legierung, die sich bei Hitze und Kälte kaum verzog und dadurch einen besonders genauen Gang garantierte. Man könnte ein ganzes Buch füllen mit den erstaun-lichen Einzelheiten von Emanuele dei Rossis Meisteruhr. Er allein und sein Sohn, der ihre Entstehung in allen Phasen begleitet hatte, wussten um ihre vielen inneren Qualitäten.
    Deren enthusiastisch vorgetragene Aufzählung schien Don
    Massimiliano weniger zu interessieren. Äußerste Präzision und Langlebigkeit hatte er ohnehin verlangt. Ihm kam es in erster Linie auf die »Verpackung« an, denn ohne prunkvolle Ausstattung würde selbst das beste Chronometer ihm nichts nützen. Er stand im Begriff etwas zu schaffen, das so unerschütterlich war wie der Lauf der Zeit. Beim Anblick seiner Familienuhr sollten selbst Kleingeister eine Vision davon erhalten. Im Moment wirkte er selbst wie verzaubert von der Pracht des Meisterstückes.
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    »Wollen Sie einen Blick auf das Uhrwerk werfen?«, hörte Nico seinen Vater fragen.
    »Wozu?«, entgegnete Manzini lustlos. Trotzdem drehte er wieder die Wappenseite nach oben. In seiner Hand wirkte die nicht eben kleine Taschenuhr geradezu zierlich.
    »Ich habe
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