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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe
Autoren: Ralf Isau
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einige technische Besonderheiten eingebaut, die für dieses Kaliber ungewöhnlich sind. So etwa die Stoßsicherung mit elastischen Deck- und Lagersteinen, die Sie sonst nur bei Arm-banduhren …«
    »Kaliber?«, fiel Manzini dem Meister ins Wort.
    Nicos Vater lächelte, als gelte es, damit einen unverzeihlichen Fehler auszubügeln. »In unserer Zunft bezeichnen wir so die unterschiedlichen Typen der Werke. Wenn ich es Ihnen kurz zeigen darf, Don Massimiliano.« Er entwand seinem Kunden die Uhr und klappte den hinteren Deckel auf. »Im Gegensatz zu den Formkalibern haben wir es hier mit einem runden von dreißig Linien zu tun, das entspricht nicht ganz achtundsechzig Millime-tern. Ich habe mich an die alte Maßeinheit für Uhren gehalten, um damit die Verwurzelung des Manzini-Geschlechts in den
    Traditionen …«
    »Was ist das ?« Don Massimilianos schneidende Stimme kappte wie ein Fallbeil den Redefluss des Meisters, und sein Gesicht verfärbte sich rot.
    Emanuele dei Rossi fuhr erschrocken zusammen. Sein Körper verharrte gekrümmt wie ein Fragezeichen. Manzinis Ausbruch musste ihm ebenso rätselhaft erscheinen wie dem verborgenen Beobachter auf dem Flur. »Ich verstehe nicht …«, stotterte der Uhrmacher.
    »Na, das da! ›Die Zeit geht hin, und der Mensch gewahrt es nicht.‹ Was soll dieses Zitat?« Sichtlich empört entriss Manzini dem Meister sein Werk und deutete auf den Schriftzug im Innern des Deckels.
    »Das ist von Dante«, beteuerte der Uhrmacher, als könne ihn allein der Name des Dichterfürsten von einer Schuld reinwaschen, deren Natur er nicht einmal begriff.
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    An Manzinis geröteten Schläfen traten dicke Adern hervor.
    »Sparen Sie sich die Erklärungen, Signor dei Rossi«, zischte er.
    »Ich bin ein glühender Bewunderer unseres großen Dichterfürsten und kenne jedes seiner Werke. Was haben Sie sich dabei gedacht, ausgerechnet diese Worte in den Deckel zu gravieren?«
    »Es handelt sich um eine Prägung …«
    »Wollen Sie sich über mich lustig machen?« Manzini brüllte, dass die Wanduhren in der Werkstatt ins Stocken gerieten. Sein Kopf sah aus, als würde er jeden Moment platzen.
    Nicos Knie zitterten, und weil sie zudem wachsweich wurden, rutschte er mit dem Rücken die Wand hinab, bis er am Boden kauerte wie ein verängstigter kleiner Junge. So erzürnt hatte er Don Massimiliano noch nie erlebt.
    »Nein«, antwortete der Vater des Lauschers mit besänftigender Geste. »Bitte verstehen Sie mich richtig, Don Massimiliano. Dieser Schriftzug ist keine spezielle Gravur für Ihre Uhr so wie die Ziselierungen auf der Außenseite. Es handelt sich nur um eine Prägung. Um eine Art Markenzeichen. Ich besitze für sie einen Stahlstempel. Ein Erbstück meines Großvaters Adamo. Schon er – der erste Uhrmacher in unserer Familie – hat Dantes Worte in alle seine Meisterstücke geprägt: ›Die Zeit geht hin, und der Mensch gewahrt es nicht‹. Sie müssen Dantes Worte zusammen mit Adamos eigener Ergänzung lesen. Hier …«
    »›Es sei, Dei-Rossi-Uhren tun ihre Pflicht‹«, hauchte Nico die zweite Zeile des Familienmottos im Chor mit seinem um Aufklä-
    rung bemühten Vater.
    Manzini schien weder den Meister noch dessen Sohn zu hören.
    »Ich will dieses verfluchte Ding nicht haben. Da, nehmen Sie!«, schrie er und drückte dem verdutzten Handwerker die Uhr in die Hand.
    »Aber das können Sie nicht tun, Don Massimiliano!«, widersprach Emanuele dei Rossi bestürzt. »Ich habe über ein Jahr lang an ihr gearbeitet. Ohne Bezahlung.«
    »Und was ist aus meinem üppigen Vorschuss geworden?«
    »Der hat nicht einmal ausgereicht, um die teuren Materialien 18
    einzukaufen. Außerdem mussten mein Sohn und ich ja auch von irgendetwas leben.«
    »Jetzt fangen Sie nicht an zu jammern, Signor dei Rossi. Der Schwarze Freitag steckt uns allen noch in den Knochen.«
    »Schämen Sie sich, Don Massimiliano, so etwas zu sagen. Sie sind der reichste Mann Nettunos. Ich dagegen musste mein Haus verpfänden, um Ihre Uhr zu bauen. Hier geht es um meine Existenz !«
    Besorgt registrierte Nico die zunehmende Schrille in der Stimme seines Vaters. Nie hatte er ihn so aufgeregt erlebt. Manzini indes ließ sich davon nicht beeindrucken. Seine Antwort troff geradezu vor Zynismus.
    »Sie sind Ihr eigener Herr, Signor dei Rossi, und tragen als solcher auch das Berufsrisiko. Ich kann Ihnen ja ein Angebot für Ihr Haus machen. Sie sind noch jung. Nehmen Sie das Geld, verlassen Sie mit Ihrem Jungen die Stadt und fangen irgendwo
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