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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo
Autoren: Bettina Szrama
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man sich bis über die Landesgrenzen hinaus über Kerckmann erzählte,
stimmte. Mit scharfem Blick verfolgte er jede Auseinandersetzung seiner
Untertanen, und schon ein belangloser Streit zwischen Nachbarn am Gartenzaun
oder auch nur ein unüberlegtes Schimpfwort waren für ihn klare Beweise
teuflischen Unwesens. Bekam er den Unglücklichen dann in seine Gewalt, ließ er
nichts unversucht, den Teufel mittels grausamer Folter aus ihm herauszulocken,
um schließlich als stolzer Sieger eines ungleichen Kampfes hervorzugehen und
die körperliche Hülle den Flammen zu übergeben.
    Der Rechtsgelehrte
und Assessor beim Hofgericht Doktor Heinrich Kerckmann mordete und betete dabei
in der Hoffnung, dass die Seelen noch auf der Folterbank vor Gott Vergebung
fänden. Weder unterschied er zwischen Arm und Reich, noch nahm er Rücksicht auf
kirchliche oder verwandtschaftliche Bande. Die Quelle seiner unumschränkten
Macht war einzig Gott, für dessen Vertreter auf Erden er sich hielt. Nur seiner
Autorität beugte er sich.
    Im Spiegel der
Glasscheibe erschien ein Gesicht. Ein junges, fast noch knabenhaftes Antlitz
und doch mit ersten untrüglichen Spuren grausamer Härte und Entschlossenheit,
das von pechschwarzen Locken eingerahmt wurde. Der Henker David Claussen war
leise hinter Kerckmann getreten.
    »Euer
Hochwohlgeboren, soll ich mit der Prozedur beginnen, oder wollen wir noch etwas
warten?«
    Augen hat er, so
finster wie die rabenschwarze Nacht, dachte Kerckmann bei sich. Allein mit der
energischen Kraft, die aus ihnen funkelt, könnte er sämtlichen vergreisten
Ratsmitgliedern das Fürchten lehren. Oh, wie er sie hasste, die Mitglieder des
hohen Rates, insbesondere die Vertreter der Zünfte, die sich bestens darauf
verstanden, sich seinen Anweisungen zu widersetzen und teuflischen Ausschweifungen
hinzugeben. Mit einem Mann wie dem jungen David an der Seite könnte er ein
Imperium erschaffen und dem Hexenglauben endgültig den Garaus machen. Doch
seine Finger zitterten bereits, und seine einstige Kraft war in den letzten
Jahren geschwunden. Er seufzte. Auch das Altern war eine Erfindung des Teufels.
    »Gehe Er und hole Er
den Schulmeister«, murmelte er, ohne den Blick vom Marktplatz zu wenden. Im
Hintergrund hörte er, wie sich schwere Schritte langsam entfernten. Als
Kerckmann den jungen Henker aufrecht über den Marktplatz zum Schinderkarren
laufen sah, leuchteten seine Augen voller Stolz. Einen solchen Scharfrichter
wie den jungen David gab es weit und breit kein zweites Mal. Die Nachbarstädte,
selbst Graf Adolph, liehen ihn sich manchmal gegen gutes Geld aus. Der Mann
hatte goldene Hände, und solange Kerckmann lebte, wollte er die seinen über ihn
halten und es ihm an Arbeit nicht mangeln lassen. Für seine Treue würde er ihn
reich belohnen, und mächtig wollte er ihn machen, so mächtig, dass seine Feinde
schon bei der Erwähnung seines Namens erzitterten. Denn die Gegner seiner
gottgewollten Ordnung waren zahlreich und hielten sich im Verborgenen. Trotzdem
kannte er sie alle. Die jungen aufstrebenden Bürger und die Zünfte, zu denen
der verhasste Bürgermeister Kleinsorge und der Deche Rampendahl gehörten.
Weltverbesserer, die nur darauf warteten, ihn aus seinem hohen Amt zu drängen.
    Während der
Richter über seine Feinde nachdachte, herrschte auch im Hause des Cordt
Rampendahl wenig Anlass zu ausgelassener Fröhlichkeit. Der Deche der Bäcker-
und Brauerzunft hatte den Knechten befohlen, das Tor zur Diele zu schließen.
Selbst die wuchtigen Fensterläden vor den mit Buntglas verzierten Scheiben
wurden hastig verriegelt. Das Vorderhaus, in dem gewöhnlich rege Geselligkeit
herrschte, wenn Cordt und seine Frau an die Nachbarn selbst gebrautes Bier
ausschenkten, schien verwaist. Cordts Ehefrau Catharina hatte den Mägden
befohlen, kein Vieh zu schlachten und die Kochtöpfe kalt zu lassen. Dem
traurigen Anlass gemäß behielt sie sich vor, zum Mittagsmahl Weizenbrot und
Salz zu reichen. Mit dieser Geste wollte die Familie Rampendahl ihrem
langjährigen Freund, dem Schulmeister Beschoren, gedenken und Gott, den
Allmächtigen, um Gnade für seine verirrte Seele bitten. Cordt hatte für alle
Familienmitglieder, Knechte, Mägde und auch für die Kinder, deren helles Lachen
ansonsten tagtäglich durch die Räume hallte, Einkehr und Besinnlichkeit
angeordnet.
    Der Hausherr selbst
saß in der kaminbeheizten Stube im oberen Speicher des Hinterhauses und starrte
mit grimmiger Miene in sein Bier, das vor ihm auf dem
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