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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo
Autoren: Bettina Szrama
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gemacht,
denn er schien es sich anders überlegt zu haben. Kurz entschlossen schürzte er
die Ärmel, griff zur Kanne und prostete dem Dechen lächelnd zu. Er führte das
volle Gefäß an seine Lippen und ließ das Bier die Kehle hinunterlaufen.
    Verblüfft
beobachtete Cordt den zuckenden Adamsapfel. Hochwürden schluckte wie ein
durstiges Pferd und setzte erst wieder ab, als die Kanne bis auf den Grund
geleert war. Er wischte sich schon mit dem Ärmel den Schaum von den Lippen,
doch Cordt starrte noch immer mit offenem Mund auf den Krug in seiner Hand. Er
kannte den jungen Pfarrer als aufgeschlossenen und streitbaren Gesellen, der
mit Gottes Hilfe die Ungerechtigkeit der weltlichen Herren von der Kanzel aus
scharf verurteilte, aber den Gelüsten des Magens und der Kehle eher enthaltsam
gegenüberstand. Diese Seite an ihm war neu.
    »Catharina!«,
brüllte Cordt Rampendahl, als er die Sprache wiedergefunden hatte und Andreas
zufrieden rülpste. »Für unseren Gast noch eine Kanne Bier!« Anerkennend klopfte
er ihm auf die Schulter. »Einen guten Zug habt Ihr am Leib, Hochwürden!«
    Den kläglichen Rest,
auf dem inzwischen mehrere Fliegen schwammen, schüttete er in die Flammen des
Kamins, sodass das Feuer hoch aufloderte. »Was Maria, meine Schöne, betrifft,
so muss ich Euch recht geben«, kam er wieder auf seine Tochter zu sprechen.
»Bevor sie Meister David mit ihrem Liebreiz gefangen nahm, habe ich versucht,
ihn bei einer Kanne Bier zu überreden, meiner Frau Mutter die Qualen des
Feuertodes zu ersparen. Er kann den Reuter genauso gut halten, wie er das
Schwert führt. Meine Hochachtung vor dem Scharfrichter! Doch meinem Anliegen
wich er aus und berief sich immer wieder auf den Hohen Rat. Erst der Anblick
meiner wunderschönen Marien hat ihn umgestimmt. Manchmal frage ich mich, ob es
daran lag, dass er Kinder über alles liebt oder dass mein Töchterchen
vielleicht doch über seltsame Kräfte verfügt.«
    Das Bier tat seine
Wirkung. Andreas’ Gesicht begann zu glühen. Mahnend hob er den Finger. »Meister
David liebt auch die fleischlichen Begierden. Eure Älteste ist noch ein Kind,
wenn auch ein liebliches«, erwiderte er leise. In seiner Stimme schwang Sorge mit.
»Ich möchte nicht hoffen, dass er bereits das Weib in ihr erkannt hat.
Schließlich weiß sie noch nichts vom blutigen Handwerk des Henkers und von den
gottlosen Gelüsten eines heißblütigen Mannes, wie David Claussen einer ist.
Sicherlich hat Gott sie erhört und ihr die richtigen Worte in den Mund gelegt,
mit denen sie sein Herz betörte. Doch der Henker ist nicht nur mit Kraft,
sondern auch mit teuflischer Schönheit gesegnet, die, ähnlich wie die Luzifers,
durchaus Einfluss auf ein heranwachsendes Mädchen haben kann. Ein Mann wie
David, stark wie ein Bär, mit dem Blick eines Adlers und dem Leumund des
Ehrenmannes, könnte durchaus die Phantasie Eurer lieblichen Tochter beflügeln.
Dennoch ist er der Henker und insgeheim gefürchtet, weil er in gewissen Dingen
ebenso wenig Gnade kennt wie sein Herr, der hohe Richter und Bürgermeister
Heinrich Kerckmann.«
    Er erinnerte sich
der Jahre, als sie und David gemeinsam die Knüppelschule besucht hatten, doch
nachdem die Kinderzeit nun schon lange hinter ihnen lag, sprach er Davids Namen
mit dem gleichen Respekt aus wie die meisten in Lemgo. Kein Scharfrichter in der
Umgebung hatte so jung mit dem blutigen Handwerk begonnen wie der kühne und
geheimnisvolle David, der nach dem frühen Tod seines Vaters bereits mit
neunzehn Jahren das erste Mal das Schwert geführt hatte – mit der gleichen
Perfektion und der gleichen Unerbittlichkeit wie erfahrenere, ältere Henker.
Seitdem fürchtete man nicht nur den Meister, der sein blutiges Handwerk
vollendet beherrschte, sondern auch seinen Schüler, der mit der Obrigkeit seine
Geschäfte abwickelte und die bedingungslose Unterstützung des Blutrichters
Kerckmann genoss.
    Cordt erriet die
Gedanken des Pfarrers. »Donner, Beelzebub und Pestwurz! Ich werde meiner Blume
diese Phantasien schon austreiben. Vielleicht werden sie ihr auch von allein
vergehen, wenn sie erst begreift, wie gnadenlos David unseren alten
Schulmeister auf Befehl der hohen Herren tötet. Weshalb lässt Gott so ein
Ungemach überhaupt zu?«
    »Da nützen auch
Flüche nichts, Deche Rampendahl. Damit versündigt Ihr Euch nur. Meister David
ist den hohen Herren verpflichtet. Er ist unbestechlich und liebt sein Handwerk
wie Ihr das Eure. Wenn er und Gott uns nicht helfen, dann müssen wir es
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