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Der Hausflug

Titel: Der Hausflug
Autoren: Gert Prokop
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Jonas. „Tschüß, Mutti. Ich muß jetzt…“
    Sie wollte ihn zum Tor bringen, aber er rannte los. Er mußte jetzt rennen. So schnell er nur konnte. Er machte einen Umweg, lief durch das Gartengelände gegenüber dem Werk, bevor er zu dem Haus zurückkehrte.
    „Wir müssen warten, Xindy“, sagte er, „da wimmeln noch dauernd Leute herum. Vor dem Lagerhaus, in dem das Quecksilber liegt, gibt es genug Platz, um zu landen. Direkt vor dem Eingang. Die Tür wird dann bestimmt abgeschlossen sein, aber ich habe sie mir gut angesehen; die Angeln sind außen angebracht. Mit deinem Gerät kann ich die Tür bestimmt aus den Angeln heben und aufmachen, ohne das Schloß aufzubrechen.“
    „Wir bekommen sie schon auf“, meinte Xindy, „darüber wollen wir uns jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Das Problem sind die Leute. Wird das Werk ebenso bewacht wie das in Spanien?“
    Jonas lachte laut auf.
    „Keine Angst“, sagte er, „da gibt es nur Arbeiter. Und ich habe mich erkundigt, zur Zeit haben sie nur eine Schicht; nach Fünf ist das Werkgelände leer wie ein abgeleckter Teller.“
    Das Gelände war nicht leer, als sie kurz nach Fünf landeten. An der Rampe der gegenüberliegenden Halle stand ein Lkw, einer dieser Riesenlaster, und daneben wartete noch ein Anhänger. Zwei Männer waren dabei, den Laster mit Kartons zu beladen, und sie ließen sich viel Zeit damit. Jedesmal, wenn der eine Mann mit dem Gabelstapler zur Rampe fuhr, lehnte der andere sich an die Wand des Lasters und blickte gelangweilt in die Gegend, und dabei sah er gerade in Richtung der Tür, die Jonas aufbrechen mußte.
    „Verdammt“, fluchte Jonas. „So wie die arbeiten, kann es eine Ewigkeit dauern, bis sie fertig sind.“
    „Dann müssen wir eben warten“, meinte Xindy.
    „Ja, du hast gut reden“, schrie Jonas, „auf dich wartet niemand. Jetzt fährt Vater los, und in wenigen Stunden ist er bei Oma, und dann?“
    „O weh“, sagte Xindy, „daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Was machen wir da?“
    „Wenn ich das nur wüßte“, seufzte Jonas.
    „Zuerst holen wir uns aber das Quecksilber, das mußt du verstehen.“
    „Klar verstehe ich das“, sagte Jonas. „Wenn die nur nicht so trödeln würden.“
    „Vielleicht geht es auch jetzt schön“, meinte Xindy. „Ich könnte das Feld geringfügig über das Haus hinausdehnen, nur kurz, maximal einundsiebzig Sekunden…“
    „Und das bedeutet?“
    „In diesen Sekunden wird der Raum zwischen uns und dem Lagerhaus unsichtbar und damit auch die Tür. Du mußt versuchen, die Tür in dieser kurzen Zeit aufzumachen. Wenn es beim ersten Mal nicht klappt, kann ich es zehn Minuten später wiederholen.“
    „Gut“, sagte Jonas. „Wir werden das Kind schon schaukeln, wenn ihm auch brüllt.“ Er pfiff vergnügt durch die Zähne.
    „Welches Kind?“ fragte Xindy erstaunt.
    „War nur ein Witz.“
    „Du mit deinen Witzen! Ihr Menschen seid doch seltsame Lebewesen.“
    „Aber ganz komisch, was?“ Jonas stellte sich in der offenen Tür auf die Lauer, wartete, bis der Gabelstapler eine neue Ladung brachte und die beiden Männer im Laster beschäftigt waren.
    „Jetzt!“ rief er und stürzte los. Für ihn hatte sich nichts geändert. Er konnte nur hoffen, daß er tatsächlich unsichtbar war. Er strahlte die Tür an; das große, doppelflügelige Eisentor ließ sich aus den Angeln heben, als sei es nur dünnes Papier.
    „Zurück“, kommandierte Xindy. Die beiden Männer blickten herüber, schüttelten die Köpfe, wischten sich die Augen, aber da war Jonas schon ins Haus gesprungen, und alles sah aus wie vorher.
    Die Männer blickten sich achselzuckend an, dann machten sie sich wieder an die Arbeit.
    „Was haben die eigentlich gesehen?“ erkundigte sich Jonas. „Einfach nichts? Wie sieht nichts aus?“
    „Der Raum war für sie einen Augenblick lang verschwunden“, sagte Xindy, „sie haben sozusagen durch ihn hindurchgesehen.“
    „Verstehe ich nicht“, sagte Jonas, „aber ich muß ja nicht alles verstehen, oder? Die Tür ist jetzt offen. Ich habe sie angelehnt, damit es nicht auffällt. Beim nächsten Mal schlüpfe ich hinein, und beim dritten Mal komme ich mit dem Faß, einverstanden?“
    „Einverstanden“, antwortete Xindy.
    Es war wirklich ein Kinderspiel: Die Tür gehorchte auf den Druck seines Zeigefingers, hinein, dann die Tür wieder zuziehen, ein Faß aus dem Regal heben und auf der flachen Hand durch den Raum balancieren, dann hinüber ins Haus bringen… Jonas stellte es in den
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