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Horror Factory - Der Behüter(German Edition)

Horror Factory - Der Behüter(German Edition)

Titel: Horror Factory - Der Behüter(German Edition)
Autoren: Malte S. Sembten
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Prolog
    Es war eine klare Neumondnacht. Tausende von Sternen besäten das Firmament. Sie blickten herab wie bleiche Zuschauer in einem riesigen Theatersaal.
    Die junge Frau warf den Motorradhelm ins Gebüsch und begann, sich auszuziehen. Sehr vorsichtig befreite sie ihren Kopf aus der seidengefütterten Sturmhaube, die sie ebenfalls fortwarf. Sie streifte die Handschuhe ab, ließ sie einfach fallen, und stieg aus den Motorradstiefeln. Sie pellte sich aus der Ledermontur. Dann öffnete sie den Reißverschluss ihres Skinsuits und schlüpfte behutsam heraus.
    Die junge Frau stand nackt da. Nackter als nackt, wenn man ihre Ganzkörperrasur berücksichtigte. Ringsum flüsterte das Laub des Waldes. Eine sanfte Brise, die nach Tannennadeln duftete, koste ihren Leib. Besonders auf der Kopfhaut und zwischen den Beinen, wo sie sich noch nicht an die Enthaarung gewöhnt hatte, reagierte sie empfindlich auf das kühle Streicheln. Sie fuhr mit der Hand über ihren kahlen Schädel. Außer dem Blutschorf ertasteten ihre Finger winzige Stoppeln. Sie berührte sich zwischen den Beinen. Hier spross zarter Flaum nach. Die Rasur lag ja auch schon sechs Tage zurück. Etwas länger, als es anschließend gedauert hatte, die Haut ihres gesamten Körpers zu zerschneiden.
    Im Sternenschein wirkte es wie eine dunkle Tätowierung. Aber die fremdartigen Muster und Zeichen, die die helle Haut der Frau bedeckten, bestanden nicht aus Tinte. Sie waren auch nicht mit der Nadel eingestochen. Sie waren mit dem Skalpell geschrieben und bestanden aus getrocknetem Blut. Die Schnitte waren nicht tief und würden ohne Narben heilen. Doch damit das austretende Blut entlang der Ritzungen gerann, statt in willkürlichen Bahnen zu zerlaufen, war das Skalpell mit unendlicher Geduld, Millimeter für Millimeter, durch die Haut gezogen worden. Über hundert Stunden hatte es gedauert, bis das letzte Symbol eingeschnitzt und die Frau von den Waden bis zum Skalp beschrieben war. Während dieser Tage und Nächte hatte sie nicht sitzen oder liegen dürfen. Sie hatte im Kalten gefroren, denn ein einziger Schweißtropfen hätte womöglich alles verdorben. Und sie hatte weder Seife noch Waschlappen gesehen. Selbst die frische Brise dieser Sommernacht vermochte das nicht zu kaschieren.
    Die Frau nahm die Taschenlampe aus der Satteltasche der Ducati und leuchtete ihren Körper ab. Die Kalligrafie aus verschorftem Blut war mit handelsüblichem Sprühpflaster konserviert worden. Auch das Skinsuit und die Seidenfütterung der Sturmhaube hatten der Schonung der blutigen Runenschrift gedient. Erleichtert erkannte die Frau, dass die Schutzvorkehrungen ihren Zweck erfüllt hatten. Sie hoffte, dass dies auch für die Körperpartien galt, die sich ihrem Blick entzogen.
    Mit bloßen Zehen kickte sie die Stiefel aus dem Weg. Sie stieg über den dunklen Haufen hinweg, den ihre Biker-Montur auf dem Basaltsplitt hinterlassen hatte, und schwang sich rittlings auf den Motorradsitz. Am blanken Hintern fühlte sich das sonst so vertraute harte Leder fremd an. Sie umfasste die Lenkergriffe und ließ die Maschine vom Rastplatz auf die Straße rollen.
    Beidseits vom dunklen Waldsaum flankiert, zog das Asphaltband sich im Sternenglanz dahin. Doch schon bald verlor es sich in der ersten Kurve. Diese Waldallee war die reinste Slalom-Bahn. Viele Kurven waren mit einem Trauerkranz oder einem Holzkreuz markiert, das am Straßenrand aufragte oder an einen Baumstamm genagelt war. Manchmal brannte auch ein rotes Licht dazu. Im Volksmund hieß dieser Straßenabschnitt die ›Schutzengel-Teststrecke‹. Offiziell wurden die Unfälle auf Unerfahrenheit, überhöhte Geschwindigkeit und Trunkenheit am Steuer zurückgeführt. Aber diese Dinge gab es auch woanders, ohne dass die Verkehrstoten sich dermaßen häuften. Die Frau überlegte, ob die Finsternis zwischen diesen Bäumen nicht doch etwas Gespenstisches verbarg, das Autofahrer von der Straße abbrachte, so wie Sumpflichter den Wanderer vom Moorweg weglocken.
    Um diese Stunde, mitten in der Woche, war jedoch kein zweites Fahrzeug unterwegs. Die Frau spielte mit dem Gas. Hungrige 162 PS knurrten unter ihrem Hintern. Sie startete.
    Nach der Kurve drehte sie auf. Der Fahrtwind prickelte auf ihrer Haut. Die nächste Kurve kam. Sie bremste nur wenig ab, sodass sie sich tief in die Kurve hineinlegen musste. Der Fahrtwind leckte mit rauer Zunge über ihre Glatze und biss ihr in die ungeschützten Augen. Schneller! Die Kurven Nummer drei und vier folgten direkt
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