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Der Hausflug

Titel: Der Hausflug
Autoren: Gert Prokop
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Flur.



 
    „Reicht das wirklich?“ fragte er. „Ich geh auch noch mal.“
    „Ist das Faß voll?“
    Jonas versuchte, es anzukippen, das Faß rührte sich keinen Millimeter, und die Plombe war unverletzt.
    „Randvoll“, sagte er. „Hoffentlich ist es auch dein Phlochl.“
    „Ist es“, sagte Xindy, „das zeigt mein Gerät an. Wir können losfliegen.“
    Jonas bestand darauf, die Tür wieder in die Angeln zu heben. Ordnung ist das halbe Leben. Irgendwann würde man natürlich merken, daß ein Faß fehlte, und wie die aufgescheuchten Hühner danach suchen. Es machte nicht einmal Spaß, es sich vorzustellen. Er fühlte sich unheimlich müde. Schlapp und leer.
    „Wir können starten“, sagte er leise.
    „Soll ich dich unterwegs absetzen? Ich würde es nur ungern tun, der Abschied wäre so plötzlich, ich…“
    „Nun heul du nicht auch noch“, schrie Jonas. „Meinst du, mir paßt es, so von einer Minute zur anderen ade zu sagen? Wenn ich nur wüßte, was ich tun soll. Vater sitzt bestimmt schon im Auto und rast Richtung Hunsbrück. Du kannst doch so vieles, Xindy, kannst du nicht die Zeit zurückdrehen? Wenigstens für einen Tag?“
    „Das geht leider nicht. Auch auf dem Chlm ist Zeit unumkehrbar. Überall auf der Welt. Niemand kann die Zeit zurückdrehen. Wir starten erst einmal in Richtung Norden, dann will ich nachdenken. Vielleicht fällt mir etwas ein.“ Es dauerte lange, bis Xindy sich wieder meldete.
    „Wir könnten deinen Vater unterwegs einfangen“, sagte er.
    „Was soll das“, sagte Jonas verzweifelt, „das bringt uns auch keine Zeit.“
    „Doch“, erwiderte Xindy. „Bis morgen früh. Wir könnten die Zeit sozusagen ein wenig anhalten.“
    „Dann los! Worauf wartest du noch?“
    „Auf deine Zustimmung. Dazu müßten wir deinen Vater in unser Haus bringen.“
    „Mit dem größten Vergnügen“, sagte Jonas. „Aber vergiß nicht, er ist ein Erwachsener.“

Das neunzehnte

    Xindys Plan – Ein Ausflug an die Ostsee
Jonas läuft über das Meer
     
    „Du mußt dich endlich entscheiden“, sagte Xindy.
    „Ja.“ Jonas stand auf und trat vor die Tür.
    Du hast gut reden, dachte er, du geschwänztes Stielaugenmonster vom Chlm, du Neunmalklugscheißer, Dreifingerhoch, Eierleger. – Es tat gut, sich so Luft zu machen. Und es tat seiner Freundschaft zu Xindy keinen Abbruch, im Gegenteil – gehörte zu einer richtigen Freundschaft nicht auch, daß man seine Wut und seine Hilflosigkeit an dem anderen abkühlen konnte, wenn man in der Klemme saß? Aber wer weiß, wie die Chlmianer darüber dachten. Hier draußen konnte Xindy seine Gedanken zum Glück nicht lesen.
    Er setzte sich in das Gras und sah die Landstraße hinunter. Jeden Augenblick konnte Vater um die Kurve biegen, und er wußte noch immer nicht, ob er Xindy zustimmen sollte.
    Xindys Plan war einfach: Vater abpassen, bevor er nach Hunsbrück abbog, ihn zu einer Stippvisite an die Ostsee überreden, dort in das Haus lotsen und einschlafen lassen. Nicht nur schlafen, da wäre die Entscheidung einfach gewesen, Xindy wollte Vaters Erinnerungen verändern, so, daß Vater glauben würde, Jonas sei nicht am Montag, sondern erst heute, mit ihm zusammen, zur Oma gefahren.
    Auf dem Herflug hatte Jonas sich an die Abende zu Hause und an frühere Reisen nach Hunsbrück erinnern müssen, bis Xindy meinte, nun habe er genügend Material zusammen, um Vaters Gedächtnis zu manipulieren.
    Vaters Erinnerungen an den Abschied am Montag, an seine Abende allein in Fichtenberg, an das Treffen hier an der Landstraße und an den Besuch des Hauses würde Xindy löschen, weiß der Himmel, wie. Xindy hatte versichert, daß es Vater ganz bestimmt nicht schaden würde, trotzdem zögerte Jonas. Es kam ihm hinterhältig vor, so mit Vater zu verfahren, in seinem Gehirn herumzupfuschen, ihm Erinnerungen an Dinge zu geben, die nie geschehen waren, und dafür die richtigen Erinnerungen wegzunehmen.
    Andererseits würde Xindys Plan mit einem Schlag alle Probleme lösen und ihnen die Zeit schenken, sich in Ruhe voneinander zu verabschieden. Niemand würde fragen, wo Jonas die vier Tage gewesen war. Allerdings, und das war der Pferdefuß, konnte er dann nie mit Vater über seine Erlebnisse mit Xindy sprechen, Vater „wußte“ ja, daß Jonas die ganze Zeit zu Hause gewesen war. Vielleicht hatte Xindy ihm deshalb diesen Plan vorgeschlagen?
    Vater würde ohnehin nicht glauben, was sein Sohn erlebt hatte. Nicht einmal Vater. Er würde annehmen, daß Jonas sich die vier
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